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Auge in Auge mit Tiger und Co.

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 26. Oktober 2023

Die renommierte Tier-Augenärztin Michele Stengard lebt in Zumikon und praktiziert in Zürich. Mit einer Eule hat alles angefangen.

Für ein Pferd muss es ein XL-Operationstisch sein. (Bilder: zvg)
Für ein Pferd muss es ein XL-Operationstisch sein. (Bild: zvg)

«Ich möchte später mal Tierärztin werden.» Das behaupten junge Mädchen gerne. Auch Michele Stengard hat das schon mit zehn Jahren inbrünstig gesagt – und sie wurde es. Heute ist die Amerikanerin anerkannte Spezialistin für Tier-Augenheilkunde. Aufgewachsen in Rhode Island – dem kleinsten Staat der USA – gehörten immer schon Katzen und Hunde zur Familie. Aber besonders gern spielte Michele mit den Eidechsen am Strand. «Ich wollte sie auch reparieren», lacht sie im Nachhinein. Hatte eine ein gebrochenes Bein, versuchte das Mädchen ihr eine Schiene anzulegen. Das sei bei den Eltern, Schwestern und dem Bruder – nur bedingt gut angekommen.

Der Frust der Tierärzte

Die junge Frau absolvierte die High School und ging dann zur ­Universität. Nach ihrem Bachelor of Science in North Carolina besuchte sie das veterinärmedizinische College der Uni in Florida. Während eines Projekts musste sie sich mit den Augen einer Eule befassen und war sofort fasziniert von dem Organ, den speziellen Muskeln, der Möglichkeit der Fokussierung. «Da hatte ich meine Leidenschaft gefunden.» Seitdem hilft sie Tieren, die zu erblinden drohen. Auch einem Fohlen, das blind zur Welt kam. «Es lief los und sofort in eine Wand.» Mit einer Operation konnte sie dem Tier helfen. Die Amerikanerin hat die unterschiedlichsten Tiere behandelt: Haustiere, exotische Arten, auch Raubtiere wie Tiger. Was sie dabei oft umtreibt: In der Humanmedizin werde alles getan, was Technik und Wissenschaft möglich machen. In der Tiermedizin spiele oft der Faktor Geld eine Rolle. Können Halterin oder Halter eine erforderliche Behandlung nicht bezahlen, muss ­diese ausbleiben. «Viele Tierärzte leiden darunter. Zu wissen, ein Tier könnte gerettet werden und tatenlos bleiben zu müssen, ist fürchterlich.» So sei zum Beispiel die Suizidrate unter Veterinärmedizinern im Vergleich zu anderen Berufsgruppen immens hoch.

Immerhin werde auch in Europa immer häufiger eine Versicherung für ein Haustier abgeschlossen. In den USA wird fast für jedes zweite Haustier eine Police abgeschlossen, in der Schweiz bislang nur für rund zehn Prozent. «Das ist auch eine Frage der Wertschätzung. Wieviel geben Menschen für andere Dinge aus?» Im übrigen gebe es auch in der Tiermedizin vermehrt Spezialisten für unterschiedlichste Fachrichtungen.

Von Florida nach Zumikon

Während ihres Studiums lernte sie eine Menge – unter anderem ihren schwedischen Mann kennen. Seine Schwester studierte wie Michele und lud ihren Bruder zu einer Willkommensparty ein. Es gab Freibier und Pizza. Später die Hochzeit und drei Kinder. Dreizehn Jahre lang arbeitete Michele Stengard an Spezialkrankenhäusern für Veterinärmedizin in Florida. «Eigentlich leben Amerikaner nicht in Florida, sie machen dort höchstens Urlaub», sagt die Wahlschweizerin. Als ihr Mann ein berufliches Angebot aus Zürich bekam, war der Entschluss zum Umzug schnell gekommen. «Das Leben hier ist nachhaltiger und gesünder. Von ihren Sommerferien in Schweden kannten die Kinder Europa auch schon ein bisschen.» Sie selber praktizierte erst am Tierspital Zürich, wo sie operierte und auch dozierte. Mittlerweile arbeitet sie in einer Kleintierklinik. Grosse Tiere wie Pferde und Kühe behandelt sie in der Tierklinik Leimental in Biel-Benken (Basel-Landschaft). Der Nachwuchs liegt ihr besonders am Herzen. «Wenn jemand mit seinem kranken Tier zu uns kommt, ist viel Nervosität zu spüren. Die Angst vor einer schlimmen Erkrankung und eben auch vor den Kosten. Diese Nervosität überträgt sich auf das Tier. Unsere Aufgabe ist es, erstmal beruhigend zu wirken. Den Menschen ist nicht so wichtig, was wir können, sondern dass wir uns wirklich kümmern.»

«Stolperstein German»

Michele Stengard doziert und veröffentlicht nicht nur – zum Beispiel über «Die Auswirkungen von intravenösem Romifidin auf den Augeninnendruck bei klinisch unauffälligen Pferden und Pferden mit ophthalmologischen Zufallsbefunden» oder zu Grüner-Star-Erkrankungen bei Hunden – sie hat selber nochmals die Schulbank gedrückt. Um selbstständig arbeiten zu können, musste sie einen komprimierten Lehrgang besuchen. «My Stolperstein ist das German», räumt sie unumwunden ein. Sie schrieb alles mit, übersetzte es zu Hause ins Englische, lernte es, übersetzte es wieder in die deutsche Sprache – und sie bestand. Mit diesem Diplom kann sie nun überall in der Schweiz praktizieren. Wenn sie denn überhaupt will.

Ursprünglich wollte die Familie nur ein oder zwei Jahre bleiben. Mittlerweile sind es neun geworden. Die Kinder studieren oder besuchen weiterführende Schulen, Ehemann Petter ist fester Bestandteil des Zumiker Tennisclubs und Michele die Anlaufstelle, wenn die Kinder in der Nachbarschaft mal wieder einen Vogel mit lahmem Flügel oder einen humpelnden Frosch ­finden. Wie sehr sie Tiere liebt, merkt gerade zurzeit auch ihre ­Katze Mochi. Die muss mit einem kleinen Glöckchen um den Hals durch die Gärten und Wiesen jagen. Michele Stengard liebt ihre Katze – aber die Singvögel eben auch.

Michele Stengard (r.) arbeitet sowohl in einer Kleintierklinik als auch mit grossen Tieren. Auch diese Tigerin kann mit einer neuen Linse dank Michele Stengard ihre Beute wieder genau ins Visier nehmen. (Bilder: zvg)

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