Suche

Funken zwischen den Generationen

Von Zolliker Zumiker Bote ‒ 9. November 2023

Was etwas so scheinbar Alt­modisches wie ein Vortrag fürs Leben hergibt. Philosoph, Physiker und Buchautor Ludwig Hasler (79) referierte am ­26. Oktober im Kultur-Café der katholischen Kirche Zollikon. Zwei jüngere Frauen reagieren.

Mit Selbstironie durchs Alter: Bei Ludwig Haslers Vortrag gab es nicht nur philosophische Gedanken, sondern auch viele Lacher. (Bild: asl)
Mit Selbstironie durchs Alter: Bei Ludwig Haslers Vortrag gab es nicht nur philosophische Gedanken, sondern auch viele Lacher. (Bild: asl)

Was gibt uns Sinn im Leben? Was können wir im dritten Lebensabschnitt für die Generationen nach uns bewirken? Ludwig Haslers Vortrag war für mich ein Muss, denn ich stehe selbst am Übergang zur dritten Lebensphase. An Firmenevents, öffentlichen Podien und Buchvernissagen habe ich dem brillanten Redner bereits zugehört – beeindruckt von seiner Sprache, seinen Gedanken. Deshalb wollte ich auch die jüngste Gelegenheit auf keinen Fall verpassen. Am 26. Oktober bringt er einmal mehr auf den Punkt, worauf es im Leben ankommt: «Bin ich, was ich studiert habe? Studieren kann jeder, der Geduld hat.» Ist Bildung das alleinige Merkmal eines Menschen? Werde er jeweils vorgestellt, würden immer seine Studienabschlüsse und Berufsstationen aufgezählt. Kein Wort über seine körperlichen Erfolge mit 18 Jahren: «Damals gewann ich fast jedes Grümpelturnier im Kanton Luzern», erzählte Ludwig Halser schmunzelnd. Wir seien eine Wissensgesellschaft, zu verstandeslastig. Seine Forderung, den Menschen vom Kopf auf die Füsse zu stellen, hilft mir für meine eigene Neubetrachtung bei Vorstellungsgesprächen.

Seine Motivation, im Alter weiterhin Akteur und Akteurin zu bleiben, entspricht meinem unter­nehmerischen Geist. Nach einem erfüllten Berufsleben leiden viele unter dem Gefühl, überflüssig zu sein. Ludwig Hasler nimmt uns mit in die Erinnerungen an seine ­Jugend, seine gläubigen Eltern: Sie erwarteten, nach dem Tod ihren Ahnen zu begegnen. Diese tröstliche Vorstellung, mit einem Bein bei den Ahnen zu sein, habe alten Menschen eine besondere Würde verliehen. «Gibt es in unserer Gesellschaft noch einen Ort für die Verstorbenen? Wenn das Alter kein Übergang mehr ist, was ist es dann?», fragte er in die Runde. Seit der Himmelsdruck weg sei, machten wir uns selbst Druck. Statt eine gewisse Ruhe im Alter herrsche Hektik. Man wolle alles aus diesen letzten Jahren herausholen.

Haslers Dreipunkterezept

Ludwig Hasler beschreibt die heutige Form des Alters in drei Punkten: Langlebigkeit, Beschäftigungslosigkeit und metaphysische Perspektivlosigkeit. Das gängige Rezept, der metaphysischen Obdachlosigkeit zu begegnen sei erstens Reisen, zweitens Geniessen, drittens Fitness. Ihm sei aufgefallen, dass Menschen, die reisen, immer wieder als dieselben zurückkommen. Im übrigen können vor allem hinsichtlich Umwelt nicht acht Milliarden Menschen durch die Welt fliegen. Die Lebensqualität der letzten Lebensjahre zu verbessern, sei früher wichtig gewesen. Aber 25 Jahre «spaziere, höckle, gnüsse», wie eine Tramwerbung es suggeriere?

Punkt Langlebigkeit. «Krankhaft gesund sein bringt nichts und ist auch eine Art Krankheit», so der Philosoph. Er selbst lebt wie ein Dynamo, verausgabt sich leidenschaftlich für das, was er gerne tut, und lädt dabei seine Kräfte auf. Und siehe da: Aus Visionen wird Wirklichkeit. Das ist auch meine Erfahrung im geschäftlichen und privaten Leben. Oft kurz vor der Erschöpfung lohnte es sich durchzuhalten: angefangen bei der Geburt der Kinder und deren Erziehung bis zur Unternehmerin und Verlegerin. Belohnt wurde ich mit frischer Kraft und neuem Sinn. Wie aber sieht es jetzt bei mir aus, kurz vor der Pensionierung? Ein Projekt steht bereits. Der Aufbau einer Berufsschule in Ruanda. Im Alter teilnehmen am Leben anderer. Da setzt Ludwig Hasler an. Mitwirken für die Jungen kann das lähmende Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, kompensieren. (Claudia Eberle-Fröhlich)


Was ich als bald 30-Jährige in ­einem Raum voller Seniorinnen und Senioren machte? Nicht nur den Altersdurchschnitt um ein paar Jahre senken, sondern auch einem Vortrag des Philosophen und Bestsellerautors Ludwig Hasler über den dritten Lebensabschnitt lauschen. Was etwas zu weit in die Zukunft gedacht klingen mag, ergibt durchaus Sinn. Denn bei diesem Vortrag vorletzte Woche ging es im Wesentlichen um Zufriedenheit.

Als Ludwig Hasler seinen Vortrag mit der Botschaft eröffnet, der Mensch sei mehr als nur seine ­Bildung, fühlte ich mich ertappt. Hocke ich doch neben meiner Arbeit beim Zolliker Zumiker Boten auch in Hörsälen, Schulbänken und Bibliotheken der Universität Zürich und büffle für meinen zweiten ­Bachelor. Als wäre einer nicht schon genug. Dabei sind wir Menschen doch so viel mehr als unsere Ausbildungen. Ludwig Hasler findet, wir sollten den Menschen endlich wieder vom Kopf auf die Füsse stellen. Finde ich prima. Und doch kann ich vom Konzept «mehr leisten – mehr sein» nicht ganz ablassen. Vielleicht ist es gerade darum gut, sitze ich hier im Saal.

Gute Laune – wichtiger als Glück

Ludwig Hasler hatte an diesem verregneten Donnerstag nämlich noch mehr zu erzählen. Etwa vom Glück. Mit 17 sei dieses auf der Höhe, so sagen Glücksforscher, das Leben ein Reich der Möglichkeiten. Dieses Reich werde enger und enger, die Möglichkeiten eingedämpft bis zum Tiefpunkt des Glücklichseins im Alter von 46 Jahren. Also habe ich noch knapp 20 Jahre – danach soll’s ja wieder bergauf gehen.
Ludwig Hasler ist im Übrigen der Meinung, dass gute Laune wichtiger ist als Glück. Da musste ich schmunzeln. Sucht doch gerade meine Generation hinter jeder Ecke nach dem noch grösseren Glück. Wenn ich mit dieser Person zusammen bin, wenn ich diesen Job habe, diese Ausbildung mache, dann, ja dann endlich werde ich glücklich. Doch ist mal eines dieser Ziele erreicht, hält die Befriedigung nur kurze Zeit, bis das Lechzen nach dem nächsten Dopaminschub wieder von vorne losgeht. Ich rede aus Erfahrung. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde meine Generation und ganz viel Wandel, der mit ihr kommt, grossartig. Aber manchmal geht mir dieses ewige Streben nach noch mehr Erfüllung gehörig auf die Nerven – mein eigenes eingeschlossen.

Auch das Reisen ist in meiner Generation so eine Sache: Bist du vor deinem 25. Geburtstag noch nicht für mindestens drei Monate mit dem Rucksack in Südostasien unterwegs gewesen, wirst du fast ­komisch angeschaut. Als ginge es bei diesen Trips wirklich um Selbst­findung und nicht darum, sich für möglichst wenig Geld gehörig die Lampe zu füllen. Sei’s drum. Wenn ich das nächste Mal an einem WG-Casting von oben bis unten gemustert werde, weil ich noch nie eine solche Reise gemacht habe, denke ich einfach an Ludwig Haslers Worte zurück: «Reisen bringt nicht ­sonderlich viel, wenn man als die ­gleiche Person zurückkommt, als die man gegangen ist.»

Das ist nicht das Einzige, was ich in dieser guten Stunde gelernt habe. Ich habe mich erneut davon überzeugt, dass Älterwerden gar nicht so furchteinflössend ist, wie ich mir manchmal vorgaukle. Und dass ich mich dringend schon vor meinem dritten Lebensabschnitt engagieren und am Leben anderer mitwirken will. Denn dieses Mitwirken sei grösser als das eigene Ego, meint Ludwig Hasler. Der Sinn des Seins stecke nicht in der Tiefe der Seele, nicht in der Höhe der Sterne, sondern vor der Haustüre. (Aline Sloksnath)

Werbung

Verwandte Artikel

Newsletter

Abonnieren Sie unseren wöchentlichen Newsletter und lesen sie die neusten Artikel einen Tag vor der Print-Veröffentlichung.

ANMELDEN

Herzlich willkommen! Melden Sie sich mit Ihrem Konto an.