Berufsschule als Chance

Von Joël J. Meyer ‒ 16. November 2023

Jackie Helfenberger hat Ruanda zu ihrem zweiten Zuhause gemacht. Als Präsidentin des Vereins «Sangira» fördert sie dort Berufsausbildungen in der Gastronomie und im Hotelgewerbe.

Jackie Helfenberger (r.) überreicht einer Schülerin der ersten Abschlussklasse das Diplom. (Bild: zvg)
Jackie Helfenberger (r.) überreicht einer Schülerin der ersten Abschlussklasse das Diplom. (Bild: zvg)

Loslassen und eintauchen. Jackie Helfenberger mag den Sprung ins kalte Wasser, ob in der Schweiz, im Ruandischen Kiwusee oder allgemein im Leben. Die Zollikerin führte über zwanzig Jahre eine Reisefirma in Zürich, bis sie 2020 aus dem Geschäft ausstieg und neue Wege einschlug: «Ich habe immer Leute in Sprachaufenthalte geschickt und fand, ich möchte das auch selber erleben». Aus­zuwandern und in einer völlig anderen Kultur zu leben, war schon immer ihr Traum gewesen. Als Geschäftsleiterin konnte sie sich dies nicht erlauben, nach ihrem Ausstieg stand ihr plötzlich die Welt offen. Mit ihrem Ehemann und Sohn hatte sie bereits acht Jahre in Zollikon gelebt, nach 17 Jahren in Pfäffikon (ZH) und Wädenswil kehrte sie dieses Jahr wieder nach Zollikon zurück – «eine Gemeinde, die viel Lebensqualität bietet». ­Inzwischen hat sie in Ruanda ihr zweites Zuhause gefunden.

Mit ihrem Fachwissen aus der Reisebranche war sie bestens für das Abenteuer gewappnet. Ursprünglich als Kauffrau ausgebildet, hat sie ihr Wissen mit Weiterbildungen in Wirtschaft, Führung, Beratung und Coaching erweitert. Doch zuerst musste sie wissen, wie sie ihr Leben nach der Karriere im Reisebüro überhaupt gestalten wollte. Ohne Plan ist sie dann nach Ruanda gereist, ins Heimatland eines Freundes, Bobito Masanga, ein in der Schweiz lebender Ruander. «Meine Intuition hat mich dorthin geführt, nicht mein Kopf», sagt sie, «rückblickend war es die beste Entscheidung.»

Unternehmerisches Land

Im März 2020 erstmals in Ruanda angekommen, hatte sie sich schnell in das Land verliebt: «Ich habe ein unternehmerisches Land gefunden mit vielen Frauen in Führungs­positionen und einer starken Aufbruchsstimmung.» Sie baute sich ein Netzwerk mit Ausgewanderten, Unternehmerinnen und Persönlichkeiten des Lions Club auf, in dem sie selbst Mitglied ist. Je besser sie das Land kennenlernte, umso grösser wurde der Wunsch nach einem Neuanfang, dem Willen, etwas zu bewirken. So entstand die Idee für Sangira: eine solide und professionelle Berufsausbildung in den Bereichen Hotellerie, Gastgewerbe, Schreinerei und Gartenbau für ­junge Erwachsene in Ruanda. Auf Kinyarwanda, einer der vier ruandischen Amtssprachen, bedeutet «sangira» teilen.

Der Verein Sangira, mit zehn Mitgliedern gegründet, wollte eine Berufsschule für Hotellerie eröffnen. Im August 2022 reiste Jackie Helfenberger einmal mehr nach Ruanda, fand in Nyamasheke ein neu eröffnetes Geschäftshaus mit Restaurant, dessen Räumlichkeiten zu mieten waren. «Wir mussten uns sofort entscheiden.» Auf das Restaurant, unerlässlich für die gastronomische Ausbildung, wartete bereits ein anderer Bieter. «Wir entschieden uns kurzerhand, zwei Schulzimmer, ein Büro und das Restaurant zu mieten – ohne grosses Startkapital. Die eine Hälfte des Vereins fand es verrückt, die andere war begeistert.» Abgesehen vom Zeitdruck schien es ihr auch einfacher, mit einem konkreten Projekt um Spenden zu werben. Bald wurde es sehr konkret: Nach zwei Wochen hatten sich bereits 120 Interessierte für die entstehende Hotellerie-Ausbildung gemeldet. «Dann war klar, wir brauchen ein Fundraising.»

120 Berufsleute diplomiert

Im November 2022 begann die Spendensammlung in der Schweiz. «Die Aufregung war gross, es konnte endlich losgehen. Aber auch der Druck war gross.» Es brauchte dringend Personal, um die Ausbildung sicherzustellen. Inzwischen hat die erste Klasse die neunmonatige Ausbildung abgeschlossen. Letzten Juli fand die erste Diplomfeier statt, alle 120 Schüler haben erfolgreich abgeschlossen – und alle haben eine Anstellung. «Bei der Diplomfeier 120 strahlende junge Erwachsene zu sehen, war ein überwältigendes Gefühl.»

Bei den Festivitäten war auch das Schweizer Fernsehen mit von der Partie. Jackie Helfenberger ist im Juli vom SRF nach Ruanda begleitet worden, denn sie brachte noch neun junge Schweizer Bäckerinnen zur Hotellerieschule – als Teil eines anderen Austauschprogramms, das sie organisierte. Alles in allem blickt sie stolz und dankbar auf den ersten Abschluss zurück. Finanziell selbsttragend ist Sangira noch nicht, der Verein ist stark von Sponsoren abhängig und bietet Patenschaften an.

Jackie Helfenberger ist jedoch zuversichtlich, «everything happens for a reason». Es wird nicht das letzte Mal sein, dass sie den Sprung ins kalte Wasser wagt. In Ruanda können die wenigsten Leute schwimmen und haben sich öfters Sorgen gemacht, als sie, Jackie Helfenberger, zum Baden in den Kiwusee sprang. Ob sie denn keine Hilfe brauche? In ihrem Leben kam sie bis anhin ganz gut ohne Rettungsring aus.

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