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Armut ist oft unsichtbar

Von Aline Sloksnath ‒ 17. November 2023

Knapp neun Prozent der Schweizer Bevölkerung leben in Armut. Dass auch in Zollikon und Zumikon Menschen auf Spenden von Organisationen wie der Winterhilfe angewiesen sind, mag überraschen – ist aber Realität.

In der Schweiz lebt unter der Armutsgrenze, wer monatlich als Einzelperson mit durchschnittlich 2289 Franken und als Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern mit durchschnittlich 3989 Franken über die Runden kommen muss. (Bild: asl)
In der Schweiz lebt unter der Armutsgrenze, wer monatlich als Einzelperson mit durchschnittlich 2289 Franken und als Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern mit durchschnittlich 3989 Franken über die Runden kommen muss. (Bild: asl)

Wer durch Zollikon oder Zumikon spaziert, kommt auf den ersten Blick nicht auf die Idee, dass auch hier Menschen wohnen, die ohne finanzielle Hilfe nicht über die Runden kommen. 2019 belegten die beiden Gemeinden im Ranking der Eidgenössischen Steuerverwaltung Platz 51 und 49 der reichsten Gemeinden in der Schweiz – von über 2000. Doch wie eine Nachfrage bei der Winterhilfe Zürich zeigt, leben auch hier Menschen, die von Armut betroffen sind. «Im letzten Jahr haben wir 15 Familien unterstützt, die in Zollikon und Zumikon zu Hause sind», sagt Daniel Römer, Geschäftsleiter der Winterhilfe Zürich. Insgesamt 25 Gesuche seien eingereicht worden. Dass von einer Familie mehrere Anfragen kommen, ist nicht ungewöhnlich. Seit mehreren Jahren arbeitet die Winterhilfe Zürich zudem eng mit dem Frauenverein und dem Familienclub Zollikon zusammen. Für die Velobörse des Familienclubs werden jedes Jahr an Bedürftige im Bezirk Meilen Gutscheine verteilt.

Bezirk Meilen: Hilfe für 700 Personen

Wo die öffentliche Hand nicht greift, helfen Organisationen wie die Winterhilfe mit Geld- oder Sachspenden. Gegründet wurde die Winterhilfe in den 1930er-Jahren während der Wirtschaftskrise. Damals versorgte sie Menschen im Winter mit Kleidung und Grundnahrungsmitteln. Heute hilft sie das ganze Jahr über. Im Bezirk Meilen unterstützte sie im letzten Geschäftsjahr über 700 Personen, davon 557 Kinder. «Die Hilfe, die im Bezirk Meilen angefragt wurde, umfasste Schultheks, Bücher- und Velogutscheine, Familientickets für den Zoo, Kleidung und Unterstützung für Freizeitaktivitäten von Kindern und Jugendlichen», konkretisiert Daniel Römer. Wer Unterstützung will, muss mit offenen Karten spielen. Für ein Gesuch müssen die Betroffenen ihre finanzielle Situation vollumfänglich dokumentieren – mit Mietvertrag, Steuerrechnung und Lohn­abrechnungen. Zusätzlich braucht es Nachweise zur Prämienverbilligung und Stipendienbeantragung für ­Jugendliche in Ausbildung. Keine Unterstützung leistet die Organisation in Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit des Staates oder einer anderen Behörde fallen. Sie vergibt unter anderem auch keine Darlehen und übernimmt keine finanzielle Hilfe bei Steuern, Anwaltskosten, Bussen oder Schulden.

Nur nicht auffallen

Armut ist in der Schweiz oft unsichtbar. Und doch leben in unserem Land rund 745 000 Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Armut isoliert, grenzt aus und schränkt das soziale und kulturelle Leben ein. Zudem trägt die Scham dazu bei, dass Betroffene möglichst nicht auffallen wollen. «Schon in grösseren Städten ist es für Menschen nicht einfach, mit ihrer Armut umzugehen. Doch dort schützt die Anonymität davor, aufzufallen, wenn der Kleidungsstil nicht passt oder man nur im Discounter einkauft. Ich gehe davon aus, dass sich Betroffene in Orten wie Zollikon oder Zumikon noch extra Mühe geben, nicht aufzufallen», meint Daniel Römer. Entstigmatisieren und anerkennen, dass es Armut bei uns gibt, wäre ein wichtiger Schritt gegen die Unsichtbarkeit von Betroffenen. Was können die Gemeinden und die Gesellschaft gegen diese Unsichtbarkeit unternehmen? «Viele Gemeinden versuchen durchaus, unterstützende Dienstleistungen oder Angebote zu schaffen. Wir erleben aber immer wieder, dass Betroffene lieber in der Stadt eine Anlaufstelle aufsuchen. Der Gang zum Sozialamt ist in kleineren Gemeinden viel schwieriger als in der anonymen Stadt.»

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