Demokratie und Lokalmedien

Von Franca Siegfried ‒ 23. November 2023

Der Zumiker Gemeinderat hat beschlossen, dass die Bevölkerung ihre amtlichen Publikationen bis 2026 nicht nur digital, sondern weiterhin gedruckt lesen kann. Wir sprachen darüber mit Politologe Daniel Kübler der Universität Zürich, der die Meinungs- und Willensbildung in Gemeinden erforscht.

Statistisch nachgewiesen: gute Lokalberichterstattung, hohe Wahlbeteiligung. (Bild: zzb)
Statistisch nachgewiesen: gute Lokalberichterstattung, hohe Wahlbeteiligung. (Bild: zzb)

Im Zeitalter von E-­Government ist seit 2018 das Zürcher Gemeindegesetz mit dem «Digitalen Amtsblatt der Schweiz» (DAS) in Kraft. Elektronischer Service-Public soll amtliche Publikationen vereinfachen und Lokalmedien künftig verzichtbar machen. Als Übergangslösung haben sich viele Gemeinden entschieden, gleichzeitig in Lokalmedien und elektronisch zu publizieren, so auch Zumikon. Der Gemeinderat hat nun an der Sitzung vom 6. November beschlossen, diese Übergangszeit mit dem Zolliker Zumiker Boten bis ins Jahr 2026 zu verlängern, weil DAS von der Bevölkerung nicht genügend beachtet werde.

Herr Kübler, wie erklären Sie sich als Politologe die fehlende Nutzung des Digitalen Amtsblattes?

Bei der Lancierung von DAS wurde nicht beachtet, dass amtliche Publikationen kaum einen spannenden Unterhaltungswert besitzen. Gedruckt in einer Lokalzeitung sind sie jedoch in Meldungen, Vereinsaktivitäten und berührenden Geschichten aus der Gemeinde eingebettet.

Also besteht ohne Lokalzeitung die Gefahr der Informationslücke …

Tatsächlich sind Meinungs- und Willensbildung wichtige Aufgaben von Lokalzeitungen. Dazu gehören Leserbriefe, Berichte über Gemeindeversammlungen, politische Geschichten der Gemeinde, Porträts von Politikerinnen und Politikern, aber auch Partei- und Vereinsaktivitäten usw.

Wird unsere direkte Demokratie ohne Lokalmedien zum Auslaufmodell?

Wir haben vor einigen Jahren eine Studie in 400 Gemeinden grösserer Agglomerationen durchgeführt. Uns interessierte der Zusammenhang zwischen Wahl- und Abstimmungsbeteiligung und der Intensität lokaler Berichterstattung.

Und?

Kurz gesagt: Gemeinden mit einer guten Abdeckung durch Lokalzeitungen wiesen eine durchwegs höhere Wahlbeteiligung auf.

Untersuchten Sie noch andere Kriterien?

Wir haben beispielsweise auch den Einfluss des Alters der Bevölkerung in der Gemeinde geprüft, ihres Bildungsgrades, sowie die Gemeindegrösse. Und selbst bei Berücksichtigung dieser Kriterien blieb der Effekt der Lokalberichterstattung auf die Wahlbeteiligung signifikant.

Das Alter der Bevölkerung dient auch dem Zumiker Gemeinderat als Erklärung für die tiefen Nutzungszahlen von DAS?

Diese Einschätzung zeigt, dass die Wirksamkeit der journalistischen Arbeit der Lokal-Redaktion unterschätzt wird. Nur schon beim Durchblättern der Zeitung werden amtliche Publikationen am Rande wahrgenommen, besonders weil die Zeitung alle Haushalte erreicht.

Und eine Woche lang aufliegt, etwa in Küche, Badezimmer oder zumindest im Zeitungskorb.

Genau. Zeitungsvielfalt und politischer Journalismus sind die Basis einer lebendigen Demokratie. Hinzu kommt die Garantie für gut recherchierte Geschichten und Meldungen. Im Netz können sich heute alle als Journalisten betätigen, auch ohne Redaktion mit einer gewissen Qualitätskontrolle.

Lokalmedien arbeiten ja in einem zunehmend schwierigen wirtschaftlichen Umfeld, besonders wenn amtliche Publikationen wegfallen. Wie sollen die Gemeinden reagieren?

Gemeinden könnten sich finanziell beteiligen, etwa über Stiftungen, welche die redaktionelle Unabhängigkeit garantieren. Vor zwei Jahren hat zum Beispiel die Stiftung Aventinus dem Ringier Verlag die Westschweizer Zeitung Le Temps abgekauft. Dieses Stiftungsmodell zum Fortbestand von Journalismus ist für die Schweiz neu, in Frankreich und Grossbritannien jedoch erprobt.

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