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Der Pilzkontrolleur

Von Franca Siegfried ‒ 23. November 2023

Auch wenn diese Saison nicht so üppig war – bei Jonas Brännhage holen sich Sammlerinnen und Sammler von Zollikon und Zumikon Rat. Warum sich der Umweltingenieur für Pilze interessiert und Exkursionen für Private und Firmen anbietet.

Pilzler lassen sich von Jonas Brännhage beraten, 200 Arten von Giftpilzen wachsen bei uns. (Bild: fms)
Pilzler lassen sich von Jonas Brännhage beraten, 200 Arten von Giftpilzen wachsen bei uns. (Bild: fms)

Sie können keine Photosynthese betreiben, gehören aber trotzdem zu den Pflanzen, sind Tieren jedoch näher. Im Reich der Pilze kennt sich Jonas Brännhage aus. Er wartet seit bald zehn Jahren während der Pilzsaison etwa zweimal wöchentlich auf Sammlerinnen und Sammler der Umgebung. Sie alle bringen ihm ihre Beute. Breiten die Kunstwerke aus dem Wald in einer Farbenpracht mit teilweise bizarren Formen auf dem Tisch der Kontrollstelle an der Oberen Dorfstrasse 32 in Küsnacht aus. Die wichtigsten Hilfsmittel – Lupe, Pilzbestimmungsbuch und Waage – hat der Kontrolleur in Griffnähe. Hinzu kommt Wissen, langjährige Erfahrung und Faszination für diese Lebewesen. Die Kontrollstelle wird abwechselnd von einer Expertin und zwei Experten besetzt. Jonas Brännhage ist der Jüngste.

So richtig gepackt hat das Pilzfieber den 35-Jährigen, als im Herbst vor rund 17 Jahren bei milden Temperaturen und genügend Regen sehr viele Pilze aus dem Boden schossen – ganz nach der bekannten Redewendung. «Ich begann alles über Pilze zu lesen, Bestimmungsbücher, Studien, auch was sie kulinarisch bieten können. Meine Eltern sammelten zwar nicht, trotzdem hatten wir daheim ein Bestimmungsbuch mit wissenschaftlichen Zeichnungen. Diese habe ich als Bub mit meinem Vater zusammen abgezeichnet.» Der Vater Bo Brännhage, ein bekannter schwedischer Naturfotograf, hat dem Sohn den Blick für die Schönheiten der Natur gestärkt. Deshalb war es nicht erstaunlich, dass Jonas Umweltingenieurwesen an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW in Wädenswil studierte.

200 Arten Giftpilze

Heute steht er selbst vor Studenten der Ostschweizer Fachhochschule OST in Rapperswil und unterrichtet Botanik für angehende Landschaftsarchitekten. Er organisiert auch Pilzexkursionen für Private, Familien und Firmen. Gemeinsames «Pilz­suchen» im Wald scheint eine neu entdeckte Massnahme zur Teamentwicklung in Firmen zu sein. «Während der Pandemie sind Pilze ganz allgemein wieder mehr ins Bewusstsein gerückt. Im Wald nach essbaren Pilzen suchen und daheim zubereiten, das macht Sinn.» Jonas Brännhage erzählt, wie eine breite Bevölkerung aller Altersklassen in der Pilzkontrolle um Beratung bittet. Das sei wichtig: «Immerhin gelten 200 Pilzarten als giftig, der grüne Knollenblätterpilz ist einer der gefährlichsten – und nicht selten in den Wäldern der ­Umgebung.» Er erinnert an den makabren Fall eines 26-Jährigen, der 1993 in Uerikon bei Stäfa von seiner Ehefrau und ihrem Liebhaber mit einem Gericht aus Knollenblätterpilzen ermordet wurde.

Hallimasch zum Saisonende

Jonas Brännhage engagiert sich auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Birmensdorf bei SwissFungi, dem nationalen Daten- und Informationszentrum zur Erforschung der Pilzflora: «Unser Ziel ist, das Wissen über Verbreitung und Gefährdung der Pilze einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.» Auch in der Pilzkontrollstelle wird Buch über jeden Fund geführt. Die kontrollierten Mengen an Speise- sowie Giftpilzen werden vom Kantonalen Labor ausgewertet. 2022 gilt als das Jahr der Rekorde, nachdem es im September nach einem trockenen Sommer zu regnen begann. Es war eine der strengsten Saisons für die Kontrollstelle. Hingegen war heuer das Wachstum bis Mitte Oktober aufgrund akuten Regenmangels alles andere als üppig. «Ende der Saison kamen mit dem Regen immerhin noch viele Hallimasche, ein büschelig wachsender Pilz auf Holz. Zusammen mit Kartoffeln und wenig Wasser einkochen lassen, mit Salz, Pfeffer und Peterli würzen – das ergibt einen äusserst schmackhaften Eintopf.» Der Hallimasch wird ­jedoch nicht von allen gut vertragen. Jonas Brännhage berichtet von ­erstaunlichen Pilzfunden, etwa auf dem kleinen Rasen vor dem Coop in Itschnach, als plötzlich kleine Hügel den Rasen durchzogen. Der Fund? 1,5 Kilo Trüffel. Jede Saison wird in der Umgebung nach Trüffel gesucht. Es ist die robuste Art Burgundertrüffel mit dunkelbrauner Aussenhaut, nicht so teuer und exklusiv wie der Weisse Trüffel aus dem Piemont, aber je nachdem geschmacklich trotzdem intensiv. Er habe eine Spaziergängerin mit einem Trüffelhund auf dem Zollikerberg getroffen. Der Hund sei jedoch nicht mehr im Dienst gewesen und habe die Trüffel gleich selber gefressen …

Makrofotografie im Reich der Pilze

Die Erzählungen des Kontrolleurs sind unterhaltsam. Da gebe es noch einen eher seltenen Pilz: die Krause Glucke mit einem Fruchtkörper, der zwischen zwei und fünf Kilo wiegen kann. Dieser Pilz erinnere ihn an Schwämme, die im Meer als vielzellige Tiere wachsen. Jonas Brännhage wollte in jungen Jahren Meeresbiologie studieren, realisierte aber bald, dass ein Meeresbiologe in einem Binnenland wie der Schweiz kaum gefragt ist. Als Umweltingenieur und seinem Interesse an Pilzen konnte er sich dennoch eine abwechslungsreiche Existenz schaffen – auch wenn die Pilzsaison von kurzer Dauer ist. Die Kontrollstelle ist ab Ende Sommerferien bis Mitte November offen. Wie sein Vater beschäftigt er sich mit der Fotografie, spezialisiert auf Makroaufnahmen. Vergrössert bringt er den Reichtum dieser geheimnisvollen Lebewesen – einige leuchten im Dunkeln – so zur Geltung, wie das menschliche Auge ihn nie wahrnehmen kann.

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