Von Zolliker Zumiker Bote ‒ 22. Dezember 2023
Junge Menschen denken oft, jede Einladung annehmen zu müssen. Schliesslich könnte man etwas verpassen, oder – schlimmer noch – jemanden verärgern, wenn man die Einladung ausschlägt. Eine angenehme Seite des Älterwerdens ist, dass man nicht mehr jedem gefallen muss. Man kann auch einmal etwas tun, das dem Umfeld möglicherweise nicht gefällt. Unabhängigkeit nennen das die einen, Freiheit andere.
In solch einer Freiheit hat sich Gott entschieden, seinen Sohn in die Welt zu schicken. Ob er wohlwollend aufgenommen wird, oder Ablehnung und Widerstand erfährt? Ob er erkannt wird als Sohn Gottes, oder verachtet als Hochstapler und arroganter Typ? Ob er die Menschen berühren wird mit seinen Worten und ob sein Beispiel Schule macht, oder ob sich andere durch sein Leben gar provoziert fühlen? Gott hat sich die Freiheit genommen, zu tun, was er für richtig hält; in diesem Falle: seinen Sohn in die Welt zu schicken.
Einer, der von vielen als «alter Christus», als ein «zweiter Christus» verehrt wird, war Franz von Assisi. Er hat nichts anderes als Vorbild akzeptiert als das Leben Jesu und die Heilige Schrift. Er hat einer zur mächtigen und reich gewordenen Institution Kirche mit seinem Leben gleichsam den Spiegel vorgehalten, indem er für sich selber ein Leben in Armut, Gehorsam und Keuschheit wählte, um Jesus nachzufolgen. Er gehört zu den bekanntesten und bestdokumentierten Personen des Hochmittelalters, und er wird bis heute verehrt. In jedem Menschen hat Franz von Assisi ein Werk Gottes erkannt, ja, in der Schöpfung dessen Handschrift. Gott allein gibt dem Menschen seinen Wert. Das enthebt ihn dem Urteil seiner Mitmenschen und des Zeitgeistes. Das macht den Menschen frei.
1223, also vor exakt 800 Jahren, erfand Franz von Assisi in Greccio, einem Dorf in der italienischen Region Latium, die Weihnachtsfeier an einer Krippe. Er tat dies, um den einfachen Menschen das grosse Wunder der Geburt Jesu spielerisch und anschaulich näherzubringen. Thomas von Celano, der erste Biograf des Heiligen, beschreibt die Feier detailreich*: Die Brüder statten die Höhle mit Heu und Stroh aus. Ein Freund lässt einen Ochsen und einen Esel herbeiführen. Schafe kommen dazu. Als sich die Nacht über das Tal legt, gesellt sich ein junges Paar mit einem Neugeborenen in die Mitte der Feiernden. Die Weihnachtsbotschaft bewegt die Anwesenden mit nie erlebter Ergriffenheit. Die Mitternachtsfeier spricht alle Sinne der Brüder und Talbewohnenden an: Ihre Nasen können das Stroh und die Tiere riechen, ihre Ohren das Blöken der Schafe hören und ihre Augen die Liebe Gottes sehen, der sich als schutzloses und verletzliches Kind in menschliche Arme gelegt hat.
Ist es angebracht, Weihnachten zu feiern angesichts der gewaltsamen Auseinandersetzungen, des menschlichen Leids und der Enthüllungen von Missbrauch und Vertuschung in der Kirche? Diese Frage hängt wesentlich damit zusammen, welches Bild wir uns von Gott machen. Wer Gott wie einen Linienrichter am Spielfeldrand sieht, der seinen Einsatz verpasst, wenn einer die Regeln überschreitet, der hat es nicht leicht mit dem Leid in dieser Welt. Wenn aber Gott uns ermächtigt und ermutigt, diese von ihm geschaffene Welt zu gestalten und zu erhalten und uns dabei nicht in die Hand fährt, wenn wir irren; wenn er also ein Gott ist, der uns Menschen nicht nur liebt, sondern uns auch etwas zutraut, dann können wir ihn auch nicht einfach verantwortlich machen, wenn es Leid, Tod und Verletzung unter uns gibt. Dieser Gott steht entschieden auf der Seite der Verletzten, der Erniedrigten und Entwürdigten. Deshalb kommt er selbst als verletzliches Erdenkind zur Welt und appelliert an unsere Herzen, ihn aufzunehmen, ihm Platz einzuräumen, ihn willkommen zu heissen. Und er macht uns Mut, unsere Sehnsucht nach seinem Reich nicht abzulegen – trotz allem.
Sie und wir alle sind in aller Freiheit eingeladen, Weihnachten auch 2023 zu feiern.
*Franziskus-Quellen, hrg. von Dieter Berg – Leonhard Lehmann, Kevelaer 2009, 22014 = FQ.
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