Von Franca Siegfried ‒ 12. Januar 2024
Auf einer Bank verfolgt Carine Landis die Probe der Compagnie des Balletts Zürich für das neue Stück «Timekeepers». Ein Proberaum ohne Tageslicht. Ballettstangen und verspiegelte Wände. Die Zollikerin ist seit drei Jahren Mitglied der Freunde des Balletts. Der Verein unterstützt und fördert die Compagnie. Letztes Jahr feierte er sein 40-jähriges Bestehen. Vereinsmitglieder besuchen Proben, werfen einen Blick hinter die Kulisse, bekommen Führungen und Einladungen zu Premierenfeiern. Legendär ist die Sommerparty zusammen mit den Tänzerinnen und Tänzern. Dort hat Carine Landis die Französin Mélanie Borel von der Compagnie kennengelernt. Als sie Carine Landis auf der Bank im Proberaum entdeckt – eine herzliche Umarmung zwischen zwei Frauen mit der gleichen Leidenschaft für eine Kunstform – die eine als Künstlerin, die andere als Zuschauerin. 30 Zollikerinnen und Zolliker pflegen dieselbe Begeisterung als Mitglieder des Vereins. Carine Landis bekam die Mitgliedschaft von ihrer Mutter Helen Oesterle geschenkt. Diese hatte sie schon als kleines Mädchen zu Ballettaufführungen mitgenommen. Carine Landis und ihre Schwester entschieden sich jedoch für Eiskunstlauf. Sie trainierten regelmässig bei Wind und Schnee auf dem Eisfeld im Dolder. Die Leichtigkeit, übers Eis zu schweben, erforderte viel Biss und Arbeit – mit Musik versteht sich. «Meine Schwester war jedoch begabter als ich», erzählt die 55-Jährige. «Ich konnte damals auch mit Denise Biellmann trainieren – in der Garderobe waren wir sogar Schranknachbarinnen.»
Aufgewachsen ist Carine Landis in der Stadt Zürich. Nach der Maturität studierte sie Internationale Beziehungen an der Universität Genf – interdisziplinär zwischen Politik, Geschichte, Recht, Volkswirtschaft und internationale Organisationen. «Nach dem Abschluss reiste ich vorerst für ein Jahr durch Südamerika. Danach wollte ich zurück nach Genf oder Lateinamerika.» Die Liebe durchkreuzte jedoch ihre Pläne. Sie lernte ihren zukünftigen Mann Erkki kennen, der Architektur an der ETH Zürich studierte. So startete sie eine Karriere in der Zürcher Finanzbranche für Marketing und Events. «Wir zogen 1999 nach Zollikon, das war eine gute Wahl, an der Stadtgrenze zu leben.» Als Tochter Arja zur Welt kam, übernahm ihr Mann als selbstständiger Architekt einen guten Teil der Kinderbetreuung. Mit diesem Modell konnte sie weiterhin berufstätig bleiben. Arja besuchte bis zum Gymnasium die Schulen in Zollikon: «Ich erinnere mich gut an die Elternabende, die am Schluss meistens sehr gemütlich wurden als Elternpartys.» Bewundernd berichtet sie über die Studienfächer Politologie, Astrobiologie und Astronomie ihrer Tochter: «Diese Fächerkombination ist nicht nur interessant, sondern verkörpert auch unsere Zukunft.»
Getanzt wird in der Familie Landis und Oesterle über drei Generationen. Arja besucht heute die Ballettstunden im Akademischen Sportverband Zürich (ASVZ), davor die Stage School in der Mühle Tiefenbrunnen. Carine und Erkki Landis buchen zusammen mit den Eltern Oesterle wöchentlich eine Privatstunde argentinischen Tango. «Mein Vater war über 70, als er mit uns das erste Mal Tangounterricht nahm.» Der Tanzlehrer Rolf Schneider sei eine Koryphäe. «Argentinischer Tango wird eng getanzt, durch Körperhaltung geführt und gibt ein grossartiges Körpergefühl.» Carine Landis reist regelmässig nach Helsinki, ihr Mann hat finnische Wurzeln. In Finnland kennt man den Tango seit 1913 und entwickelte ihn weiter zum «Finnischen Tango».
Selber tanzen, übers Parkett fliegen oder zuschauen – im Zürcher Opernhaus besucht sie je nach freier Zeit so viele Ballett-Vorführungen wie möglich. Jede Aufführung, die sie verpasst, bedauert sie. Daher schaut sie sich begeistert die Probe von «Timekeepers» an, ein dreiteiliger Ballettabend mit drei, genau hundert Jahre alten Musikstücken aus den goldenen 1920er. Die Choreografie stammt von Meryl Tankard aus Australien – die Premiere ist am 20. Januar. Beim Beobachten der Tänzerinnen und Tänzer erinnert sie sich, wie sie für den Eistanz trainiert hat, auch an den sportlichen Wettbewerb, die unerbittliche Konkurrenz: «Der Teamgeist der Compagnie ist hier offensichtlich und beeindruckend», sagt sie. «Jüngere werden von Erfahrenen begleitet, das ist schön». Ungewöhnlich sei auch, dass die Choreografie die Musik bestimmt. Meryl Tankard wählte Georg Anheils «Ballet Mécanique» mit Bewegungen in Zeitlupe: «Was für eine körperliche und mentale Herausforderung für Tänzerinnen und Tänzer in unserer beschleunigten Welt.» Carine Landis weiss, was es bedeutet, jede Faser des Körpers, jeden Muskel unter Kontrolle zu haben, dazu gehören auch die 50 Muskeln des Gesichts, welche die Mimik formen.
Die Compagnie steht in den kurzen Pausen neben der Bank von Carine Landis und beobachtet sich kritisch im Spiegel, konzentriert sich auf ihre Rollen für «Ballet Mécanique» – die Zolliker Freundin auf der Bank haben die Tänzerinnen und Tänzer ausgeblendet.
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