Von Seoul bis nach Zollikon

Von Franca Siegfried ‒ 23. Februar 2024

Das Klavierspiel von Daniel Yu berührt das Herz, ebenso seine Lebensgeschichte als Musiker. In Zollikon fühlt sich der ge­bürtige Südkoreaner zu Hause.

Der Pianist Daniel Yu im Musik Hug mit seiner Mutter, die ihn von Südkorea besucht. (Bild: fms)
Der Pianist Daniel Yu im Musik Hug mit seiner Mutter, die ihn von Südkorea besucht. (Bild: fms)

Daniel Yu spielt aus Schumanns «Widmung» am Steinway-Flügel – er spielt nicht etwa in einem Konzertsaal, sondern im Musik Hug am Zürcher Limmatquai. Es hört sich leicht, beschwingt an, als würden seine Hände über die Tasten schweben, trotzdem liegt eine tiefe Stärke in seiner ­Musik. Der Pianist hat Musik Hug oft besucht, dabei geträumt, dass eines Tages ein Steinway in seinem Wohnzimmer stehen würde. Sein Wunsch hat sich inzwischen erfüllt. Auf der Internet-Plattform Ricardo las er, dass eine Dame in Baden den Flügel ihrer Mutter verkaufen wollte: «Ich spielte einige Takte auf dem Flügel und wusste, dass wir, das Instrument und ich, zusammengehören», sagt der 34-Jährige.

Daniel Yu, heisst eigentlich ­Kyungsik Yu und ist im Grossraum von Seoul in Südkorea aufgewachsen. Als Daniel Yu mit einer Schulfreundin eine Musikschule besuchte und mit acht Jahren zum ersten Mal an einem Klavier sass, wusste er, das ist seine Passion: «Aber die Familie hatte weder Geld noch genügend Platz in der Wohnung für ein Klavier, also bekam ich ein handliches Harmonika-Instrument zum Hineinblasen mit Tastatur.» Er gab seinen Wunsch nicht auf, erst als er 14 Jahre alt war, hatten die Eltern das Einsehen: «Mein Klavier stand zuerst auf dem überdachten Balkon – ich spielte bei Wind und Wetter.»

Er brachte sich alles selbst bei: Notenlesen, Fingerübungen und erste Stücke spielen. Danach sprach er mit diversen Musiklehrern. «Alle meinten, ich sei sehr talentiert, aber hätte zu viel Zeit verloren, ich sei schon zu alt für eine Musikerkarriere.» Vater Yu war strikt gegen die Pläne des Sohnes. Er wünschte sich für seinen Ältesten eine gesicherte Existenz, beispielsweise als Anwalt oder Mediziner. Daniels Bruder lernte Koch wie seine Mutter, die ein eigenes Restaurant in Seoul führt.

Aufgebot fürs Militär in Südkorea

Mit Daniels Hartnäckigkeit hatte Vater Yu nicht gerechnet. Der junge Pianist schaffte es nach zwei Jahren Selbststudium schliesslich in eine der besten Musikschulen von Seoul, die Sunhwa Arts High School, die er mit Auszeichnung abschloss. Danach studierte er drei Jahre an der Universität der süd­koreanischen Hauptstadt, schliesslich bestand er die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Die deutsche Hochschule bildet rund 500 Studierende aus. Daniel absolvierte in Berlin seinen Bachelor, an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf seinen Master, studierte in Paris und machte in Herford sein Konzertexamen mit Auszeichnung, den höchstmöglichen Abschluss für einen Musiker. Aber: «Von Südkorea bekam ich währenddessen regelmässig das Aufgebot fürs ­Militär», sagt er. Der Druck nahm mit den Jahren zu, die Botschaft wollte seinen Pass nicht mehr verlängern. Ohne gültigen Pass, gab es kein Visum mehr für Deutschland. Und falls er den Militärdienst verweigerte, konnte er nie mehr die Familie in Südkorea besuchen. Seit dem 24. Altersjahr wurden seine Bewilligungen jeweils immer nur um ein Jahr verlängert. Finanziell war es in Berlin eng, seine Eltern unterstützen ihn, so gut sie konnten, und er arbeitete in der Berliner Philharmonie am Empfang, verkaufte Programm­hefte. Für seine Karriere nahm er an Musik-Wettbewerben teil. So gewann er beim Clara-Schumann-Wettbewerb und gab unter anderem Konzerte in China und der Türkei.

Unterricht für 37 Kinder

Im Jahr 2018 begegnete er seinem Partner Michael und entschied sich, in Europa zu bleiben. Er konnte die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, da er schon zehn Jahre im Land lebte und perfekt Deutsch spricht. «Am 26. Juni 2019 bekam ich die deutsche Staatsbürgerschaft, nur vier Tage bevor mein Pass abgelaufen wäre und ich in Korea zum Militärdienst hätte antreten müssen», erzählt er. «Als Michael das Angebot bekam als Mediensprecher für das Ballett am Zürcher Opernhaus, besuchten wir zusammen das erste Mal Zürich.» Daniel Yu war unsicher: In Düsseldorf hatte er sich eine Stammkundschaft von Klavierschülern aufgebaut: «Ich besuchte die Schülerinnen und Schüler daheim und war der Unpünktlichkeit des öffentlichen Verkehrs ausgeliefert. » Schon sein erster Besuch in Zürich hatte ihn jedoch restlos begeistert, und er sah wie pünktlich der Öffentliche Verkehr sein kann.

Michael mietete eine helle, geräumige Wohnung in Zollikon. Daniel Yu kam nach und begann eine Ausbildung in Musikpädagogik an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). «In meinem ersten Semester war ich der Älteste», lächelt er. Um seine Existenz zu sichern, bietet er inzwischen auch in der Schweiz Klavierunterricht an: «Ich habe viel Glück und kann insgesamt 37 Kinder unterrichten.» Es sind 26 an der Musikschule Konservatorium Zürich in Schwamendingen und elf an der Musikschule Knonauer Amt. Das Talent der ­Kinder zu fördern, sie wachsen zu sehen, macht ihm Freude. Selbst einen solchen Klavierlehrer zu ­haben, hätte er sich als Bub in Südkorea so sehr gewünscht.

Die Schweiz kennenlernen

Auf die Frage, welcher Komponist ihn fasziniert, sagt er: «Sergej Rachmaninow – einerseits seine einzigartige Musik, aber auch sein Leben für die Musik, wie er dabei psychisch unter Druck geriet, sein Exil in den Vereinigten Staaten und in der Schweiz.» Vielleicht erinnert ihn Rachmaninow auch an seine eigenen Schwierigkeiten, seinem Talent nachzugeben.

Die Schweiz inspiriert den Musiker – der Zürichsee, die Natur, die Ruhe, und in der Wohnung gibt es genügend Platz für seinen Flügel. Er betont, dass Südkorea besonders dicht besiedelt sei. «Wir lernen immer noch die Schweiz kennen und sind mit dem Auto schon über viele ­Pässe gefahren, das mag ich sehr.» Zollikon ist ihm Lebensmittelpunkt und Heimat geworden, soeben ist Mutter Yu auf Besuch. Daniel Yu kann sich sehr gut vorstellen, dass er den Zollikerinnen und Zollikern mal ein Konzert gibt – vielleicht im Gemeindesaal. Ein grosser Traum: Daniel würde gerne eines der grossen Klavierkonzerte mit Orchester spielen, diese Gelegenheit hat sich noch nicht ergeben.

Daniel Yu während des Interviews am Klavier. (Video: fms)
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