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Mehr Start-up als Klassenzimmer

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 1. März 2024

Erst Schulpflege, jetzt Schul­leitung: Doris Graf gründet eine Schule und setzt auf Wertschätzung, Respekt und Kreativität.

Doris Graf: ehemals Schulpflege, demnächst Schulleiterin. 
Die Zumikerin gründet eine besondere Sekundarschule. (Bild: zvg)
Doris Graf: ehemals Schulpflege, demnächst Schulleiterin. Die Zumikerin gründet eine besondere Sekundarschule. (Bild: zvg)

Schon während der Zeit des altersdurchmischten Lernens (AdL) in Zumikon hat sich Doris Graf aktiv an der Diskussion beteiligt. Später engagierte sich die Zumikerin für eine Legislaturperiode in der Schulpflege. Nun geht sie noch einen Schritt weiter: Doris Graf gründet – gemeinsam mit einer Sekundarlehrerin – eine eigene Schule für die Sekundarstufe A in Stettbach. Ab Sommer können Jugendliche dort lernen, ausprobieren, kreativ werden und ihren Weg in die Berufswelt finden.

Frau Graf, Schule scheint Sie zu faszinieren. Wie war Ihre eigene Schulzeit?

Ich hatte eine grossartige Primarlehrerin, damals in Rapperswil. Sie war herzlich, aber eine natürliche Autorität. Es war eine Bilderbuch-Schulzeit wie ich sie nur jedem wünschen kann. Ich habe mit Freude gelernt und bin sehr gerne zur Schule gegangen.

Und später folgte die Matura?

Nein. Ich habe keine Matura, sondern eine kaufmännische Aus­bildung gemacht und zwar bei der Firma Geberit. Dort wurden die Auszubildenden auch sehr gefördert. Als ich erfuhr, dass der jahrgangsbeste Lehrling für ein Jahr als Stagiaire in die Verkaufsgesellschaft in Paris gehen darf, war mein Ehrgeiz erst recht angestachelt. So zog ich mit knapp 18 Jahren in eine eigene Wohnung nach Paris, um dort zu arbeiten und mich weiterzubilden.

Nach der Rückkehr ging es dann aber in die Unternehmensberatung.

Ich habe bei McKinsey als Springerin angefangen. Ich war lange das Küken in der Firma, erhielt aber bald die Chance, die Rolle der Partnerassistentin und später des Staffing und Training Coordinator auszufüllen. Nach einigen Jahren wechselte ich zu Accenture in den HR-Bereich. Bei beiden Firmen wurde ich sehr gefördert, war viel unterwegs und konnte meinen persönlichen Rucksack mit ganz vielen Erfahrungen füllen, die ich später gut gebrauchen konnte.

Dann kamen das erste Kind und der Karriereknick?

Als ich meinem damaligen Vorgesetzten sagte, dass ich schwanger sei, war meine Karriere eigentlich schon vorbei. Ich habe dann noch 70 Prozent bei einem Integrationsprojekt gearbeitet. Aber ich war eben auch Mami und wollte für meine Tochter da sein. Eine Nanny kam für mich nicht infrage. Als dann mein Sohn auf die Welt kam, war für mich klar, dass ich mit meinem Anspruch Beruf und Familie nicht in Einklang bringen würde.

Also haben Sie sich in Zumikon in Ihre eigene Integration gestürzt.

Genau. Ich wollte hier nicht nur wohnen, sondern auch zu Hause sein. Schnell habe ich mich beim Verein des Freizeitzentrums und später auch im Verein Kinderfasnacht engagiert. Ich habe für die unterschiedlichen Anlässe – vor ­allem für Familien – Konzepte geschrieben, mich eingebracht. Ich habe mich dadurch schnell im Dorf vernetzen können.

Als Ihre Tochter in der Primarschule war, begann das altersdurchmischte Lernen. Nicht zu Ihrer Freude, oder?

Es ging mir nie um die Bewertung von AdL als System. Aber in Zumikon hat es einfach nicht funktioniert. Viele Eltern nahmen damals ihre Kinder aus der Schule und schickten sie in Privatschulen. Meiner Tochter fehlten plötzlich Freunde und Freundinnen.

Sie haben sich selbst dafür entschieden, Ihre beiden Kinder auf eine Privatschule zu schicken und sich trotzdem oder deswegen in die Schulpflege wählen lassen?

Für mich ist Bildung ein enorm wichtiger Bestandteil des Lebens. Eine gute Volksschule ist auch
die Visitenkarte einer Gemeinde, ein Standortfaktor. Wenn man eine attraktive Gemeinde – auch für ­Zuzüger – sein will, muss auch die Schule einen guten und modernen Ruf haben. Natürlich habe ich
Stimmen gehört, dass ich ja nicht die Richtige für die Schulpflege sei, wenn meine Kinder gar nicht mehr in die öffentliche Schule gingen. Für mich war das ein weiterer Punkt, mich erst recht zu engagieren. Ich war von Entscheidungen nicht mehr persönlich betroffen, konnte ganz frei argumentieren. In meiner Zeit in der Schulpflege habe ich gespürt, wie wertvoll diese Arbeit ist. Dass der Gestaltungsspielraum unglaublich gross sein kann. Immerhin wird in einer Schule ein Lebensweg mitgestaltet. Die Biografie eines Menschen wird beeinflusst. Es werden Weichen gestellt.

Als Sie das Gremium verliessen, gab es da schon die Idee der eigenen Schule?

Ja. Ich war lange Zeit zuvor schon mal gefragt worden, ob ich nicht eine Schule gründen wolle. Ganz kurz hatte ich auch überlegt, die Ausbildung zur Schulleiterin zu machen, aber ich wusste, das ist nicht mein Weg. Die Idee zur eigenen Schule war im Hinterkopf langsam grösser und reifer geworden. Ich habe dann mit Daniela Kunz genau die richtige Geschäftspartnerin gefunden. Sie war Lehrerin meiner Tochter und Klassenlehrerin meines Sohnes. Gemeinsam entwickelten wir ein Konzept und die Idee und gingen irgendwann auf Standortsuche.

Was unterscheidet Ihre Viadukt-Schule von den staatlichen Angeboten?

Natürlich erfüllen wir den Lehrplan 21 und bieten darüber hinaus noch mehr. Wir verstehen uns
als Brückenbauer in einer Zeit der Transformation: Aus Kindern werden Teenager, es stehen wichtige Entscheide bezüglich der Berufswahl an, und die Jugendlichen müssen lernen, Verantwortung
für ihr Lernen zu übernehmen. ­Dabei ist es wichtig, dass Stärken gestärkt werden. In jedem Schüler, in jeder Schülerin steckt ein Talent. Wir wollen die jungen Menschen auf ihrem Weg wertschätzend begleiten und mit Fähigkeiten ausstatten, die in Zukunft gefragt sind. Wir setzen auf Kommunikation und Kreativität. Wir wollen das kritische Denken ebenso fördern wie den Teamgeist. Dabei setzen wir auf strukturierten Unterricht, interdisziplinäre Projektarbeit und eine Lernstube ausserhalb des Stundenplans, in dem wir individuelles Lernen fördern. Das alles in Räumlichkeiten, die mehr an ein Start-up als an Schule erinnern. Unsere Schülerinnen und Schüler sollen sich als Unternehmer und Unternehmerinnen fühlen, die ihre Zukunft aktiv gestalten. Dabei verbindet uns alle ein grosses Ziel: den Übertritt zu einer passenden Anschlusslösung zu schaffen. Alle sollen einfach genau den Weg einschlagen können, der individuell der richtige ist.

Wie haben Sie den Weg von der ersten Idee bis zur anstehenden Realisierung erlebt?

Das war fast wie eine Schulzeit. Auf jeden Fall habe ich sehr viel gelernt. Es galt, das richtige Gebäude zu finden, die Umbauarbeiten zu planen. Wir mussten Lehrkräfte rekrutieren, Konzepte schreiben, einen Business­­plan erstellen. Wir haben sicherlich auch Fehler gemacht. Aber ganz getreu dem Motto, das wir auch an unserer Schule pflegen: Wir ­sehen Fehler als Chance, etwas zu lernen und es dann besser zu machen.

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