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Die 5. Landessprache? Einsprachen

Von Franca Siegfried ‒ 22. März 2024

Rekurs, Einsprache, Einzel­initiative – alles Rechtsmittel zum Schutz einer Minderheit in der direkten Demokratie. Nach einer Studie der Zürcher Kantonalbank sind bei Bau­vorhaben Einsprachen und Co. beliebter denn je. Ein aktuelles Beispiel aus Zumikon.

Die Visualisierung zeigt, wie sich der Zumiker Dorfplatz gemäss der Einzelinitiative Richtung Gössikerstrasse erweitern soll. (Bild: zvg)
Die Visualisierung zeigt, wie sich der Zumiker Dorfplatz gemäss der Einzelinitiative Richtung Gössikerstrasse erweitern soll. (Bild: zvg)

Liegt die Baubewilligung auf dem Tisch, alles ist geklärt mit der Baubehörde der Gemeinde, lauert die nächste Schwierigkeit. Immer öfter werden bewilligte Bauprojekte durch Einsprachen oder Rekurse ausgebremst. Die Zürcher Kantonalbank (ZKB) analysierte diese Praktiken während der letzten zehn Jahre und publizierte die Ergebnisse im «Immobilien­research» (April 2023). Ursina Kubli, Leiterin der Publikation, schreibt: «Einsprachen werden nicht umsonst als fünfte Landessprache ­bezeichnet.» Die Studie zeigt, dass trotz Baubewilligung jede zehnte Wohnung nicht gebaut wurde. ­Obwohl vor der Bewilligung auch jedes Baugesuch veröffentlicht wird. Damit bekommen Betroffene, etwa die Nachbarschaft, ihre Chance, alles zu überprüfen. Die Frist für eine Einsprache beträgt je nach Kanton 20 bis 30 Tage. Gemäss der ZKB-Studie dauerte es 2022 schweizweit zwischen Baugesuch und Bau­bewilligung im Durchschnitt 140 Tage – knappe 70 Prozent mehr als im Jahr 2010. «Je dichter besiedelt, desto länger die Verzögerung», so das Fazit. «Im ­urbanen Kanton Zürich sind es fast 200 Tage, in der Stadt Zürich ist die Zeitspanne gegenüber 2010 um 136 Prozent auf knapp ein Jahr gestiegen.» Nationaler Spitzenreiter ist der Kanton Genf mit 500 Tagen.

Stimmrechtsrekurs «Dorfplatz»

Einsprachen geben Einzelpersonen viel Macht in der direkten Demokratie. Besonders bei Konstellationen, wo etwa der Rekurs gegen ein öffentliches Bauvorhaben zielt, das schon vom Souverän angenommen wurde. Erfahrungen damit machte Stefan Bührer (FDP) in seiner ersten Legislaturperiode als Gemeinde­präsident: «Solche Rekursmöglich­keiten gegen demokratische Entscheide gehören auch zu unserer Demokratie. Sie geben Minderheiten die Möglichkeit, sich gegen unrechtmässige Entscheide zu wehren. Stellen Sie sich vor, eine Mehrheit entscheidet sich für den Bau eines neuen Fussballplatzes auf einem Privatgrundstück am Chapf. Bei ­einem solchen Entscheid müsste man nicht lange überlegen, ob eine Rekursmöglichkeit für Betroffene sinnvoll ist oder nicht, obwohl sich eine grosse Mehrheit für einen solchen Sportplatz ausgesprochen hat te.» Beim Stimmrechtsrekurs «Dorfplatz» monieren die Rekurrenten, der Gemeinderat sei bei der Abstimmung nicht richtig vorgegangen und habe die Stimmberechtigten nicht korrekt informiert. Stefan Bührer: «Auch wenn der Gemeinderat der Meinung ist, dass alles korrekt abgelaufen ist, soll grundsätzlich die Möglichkeit bestehen, dies anzuzweifeln. Entscheiden werden die Gerichte.» Selbstverständlich könne ein Rekurs auch lediglich dazu benutzt werden, anstehende Projekte zu verzögern. Auch dies gehöre zu unserem Rechtssystem. «Sicher ist, dass solche Rekurse sehr viel Mehrarbeit und Kosten bei der Verwaltung und den Behörden ­auslösen.» Aktuelles Beispiel ist die ­Gestaltung des Dorfplatzes. Ein Bauvorhaben, das nicht symbolträchtiger sein könnte. Die «Agora» war im Stadtstaat Athen der Versammlungsplatz der freien Bürger. Die Idee, dass eine freie, öffentliche Kommunikation Vernunft und die legitimste aller Gesellschaftsformen sichert – die Demokratie – entwickelte sich massgebend auf dem Marktplatz. Für öffentliche Debatten und Gemeindeabstimmungen trifft man sich in Zumikon jedoch im Gemeindesaal, der über den Dorfplatz erreicht wird.

Vorbildliche Kommunikation

Thomas Epprecht (FDP) ist als Gemeinderat zuständig für die Sanierung des Dorfplatzes. In den vergangenen sieben Jahren hat er die Bevölkerung von Zumikon in den Planungsprozess einbezogen: Schritt für Schritt, zuerst mit Gesprächen und Inputs zu einer Machbarkeitsstudie und daraus abgeleiteten Handlungsgrundsätzen, dann wieder vor dem Auftrag zu einem Masterplan. Zuletzt wurde ein Wettbewerb international ausgeschrieben, dessen Ergebnis wiederum mit der interessierten Bevölkerung diskutiert wurde. Dies alles war nebst baulichen Herausforderungen eine Parforceleistung in ­öffentlicher Kommunikation und Vertrauensbildung: Am 19. November 2023 haben 80 Prozent der Stimmberechtigten die Vorlage zur Erneuerung des Dorfplatzes an­genommen. Trotz der deutlichen ­Zustimmung wurde mit der Sanierung noch nicht begonnen – und die Zumikerinnen und Zumiker wundern sich. «Das verdanken wir wenigen Personen, die ihren Rekurs – trotz deutlicher Ablehnung in erster Instanz – unbeirrt weiterziehen», sagt Thomas Epprecht. «Verzögerungen kosten Geld und Nerven.» Sorgen macht sich der ­Gemeinderat vor allem über seine engagierten Mitarbeitenden. Von Baufachleuten, die sich ständig mit Rechtsfällen beschäftigen müssen, wird sehr viel Geduld verlangt.

Aktuelle Einzelinitiative

Eine weitere Finesse der direkten Demokratie ist letzten Dezember als Einzelinitiative «Dorfplatzvollendung Zumikon, jetzt» eingereicht worden. Mit Einzelinitiativen können damit Stimmberechtigte politische Entscheidungsprozesse mit ­eigenen Ideen beeinflussen. Das persönliche Begehren wird weiterverfolgt, sobald die Mehrheit der Stimmberechtigten die Initiative mit einer Abstimmung unterstützt. Für eine kommunale Initiative braucht es keine Unterschriftensammlung. Kurzum: Der Zumiker Gemeinderat hat die rechtliche ­Zulässigkeit der Einzelinitiative zur Dorfplatzvollendung geprüft und wird sie an der Gemeindeversammlung vom 11. Juni zur Abstimmung bringen.

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