Suche

Ausblicke bringen Einblicke

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 12. April 2024

«Zollikon von oben». Das ­Ortsmuseum lädt zum ­Perspektivenwechsel, zeigt historische Pläne, alte ­Malereien, beeindruckende Luftaufnahmen und regt zum Austausch von Geschichten an.

Ein sehr früher Vorläufer von Google Maps inklusive Himmelsrichtungen. (Bild: bms)
Ein sehr früher Vorläufer von Google Maps inklusive Himmelsrichtungen. (Bild: bms)

Ein Blick von oben ist fast immer erhebend: von einem Leuchtturm aufs Meer, von einem Berg ins Tal, von einem Wolkenkratzer auf eine Stadt. In der aktuellen Ausstellung im Ortsmuseum können auch die Zolliker und Zollikerinnen ihre Gemeinde und vor allem deren Entwicklung von oben sehen. Wie Adern ziehen sich die Strassen durch einen pulsierenden Organismus. Der Dorfplatz wird zum Herzen, die Ausläufer Richtung Küsnacht, See oder Zumikon sind die Extremitäten. Dabei wird vor allem Geschichte wach. In der ersten eigenen Ausstellung des neuen Museumsleiters Bruno Heller sind Karten und Ansichten von den ersten Vedutenmalereien aus dem 18. Jahrhundert über Luftaufnahmen seit 1919 bis zu aktuellen Drohnenaufnahmen zu sehen. Eindrücklich zeigt diese Zeitreise, wie Zollikon von einem kleinen Weinbauerndorf zu einer lebendigen und dicht bebauten Gemeinde gewachsen ist.

Doch Bruno Heller will nicht nur Geschichte beleuchten, er möchte zu Geschichten anregen. Die Be­sucher sollen sich selbst erinnern: Wo haben sie mal gewohnt? Wo sind sie zur Schule gegangen? Wo wurde der erste zaghafte Kuss ­ausgetauscht? Im besten Fall soll es gar zum generationenübergreifenden Austausch kommen. Für Kinder unserer Zeit ist es völlig selbstverständlich, Städte von oben zu sehen. Google Maps und Streetview machen es möglich und lässt uns per Klick die Kontinente wechseln. Ein Supermarkt in New York, ein See in Kanada: Blitzschnell sind wir scheinbar wirklich dort. Doch wie war das, als wir noch mit der Landkarte auf dem Schoss Beifahrerin waren? Als Luftaufnahmen nur mit strengen Auflagen veröffentlicht werden durften?

Auch auf dem Boden liegt eine Zolliker Karte und regt zur Exkursion an. (Bild: bms)
Auch auf dem Boden liegt eine Zolliker Karte und regt zur Exkursion an. (Bild: bms)

Erstaunlich viele private Pools

Die Idee zu der Ausstellung kam dem neuen Museumsleiter eher zufällig. Während seiner ersten Zeit war noch die eingekaufte (und sehr gut besuchte) Schau «A Mile in My Shoes» zu sehen. Im neuen Büro fand der 35-Jährige Luftaufnahmen seines Arbeitsplatzes. Neugierig liess er sich auf die Fotos ein – und schon stand das Motiv zur Ausstellung mit dem Perspektivenwechsel. Die Reise beginnt im Keller mit «Zollikon von unten». Eine Karte zeigt nicht nur die unterirdischen Wasserleitungen und Quellen, sondern auch die privaten Pools – eine beeindruckende Menge. Wer möchte, kann auch das Skelett eines Menschen betrachten. Wer nicht, hebt das Tuch nicht an. Ein Highlight ist ein Plan von 1808: der Zehnten-Plan. Er kam erst in allerletzter Sekunde dazu, da er nicht im Gemeinde­archiv, sondern aufgrund der Grösse in der Bauabteilung gelagert war. Die älteste Karte Zollikons hingegen, der «Bann», wird sicher im Staatsarchiv aufbewahrt. Ein attraktiver Fundus waren die Fotografien von Walter Mittelholzer – Fotograf und Flugpionier. Besucherinnen und Besucher sind eingeladen, sie in die Hand zu nehmen und mittels Lupe genau zu erkunden.

Die Ausstellung führt weiter von einer «Empathiekarte», im Workshop «Empathie Gemeinde Zollikon» entstanden, hin zu einer «Duftkarte», erarbeitet von der Zollikerin Goar Sekhian Sanfilippo. Neugierige können zudem mit dem interaktiven Audiowalk «Fremd Zuhause» der Zolliker Autorin Christina ­Caprez ihr Quartier neu entdecken.

Der Gemeindepräsident als Experte

Sein eigenes Haus fand Gemeindepräsident Sascha Ullmann auf dem Zehnten-Plan nicht, aber zumindest die Kirchen. (Bild: bms)
Sein eigenes Haus fand Gemeindepräsident Sascha Ullmann auf dem Zehnten-Plan nicht, aber zumindest die Kirchen. (Bild: bms)

Die gesamte Ausstellung befindet sich über die Ausstellungsdauer hinweg im Prozess; im «Terrain Lab» können die Karten erkundet, verglichen und eigene Karten erstellt werden. Die Besuchenden sind aufgefordert, ihre eigenen Sicht­weisen und Geschichten in das ­Bilder-Karten-Netz einzubringen. In Vermittlungsformaten wird das «Terrain Lab» aktiviert und weiterbearbeitet. Einer der ersten Besucher, der den rollenden Tisch genau unter die Lupe nahm, war Gemeindepräsident Sascha Ullmann, der dem neuen Museumsleiter zur Ausstellung gratulierte. Dieser gab das Kompliment zurück. Mit dem Geografen Ullmann habe man nicht nur einen Gemeindepräsidenten, sondern auch einen Experten zu Gast. Dieser erinnerte an Zeiten, die noch gar nicht so lange her sind, in denen Luft­aufnahmen oft verfälscht wurden. Militärische Anlagen durften nicht gezeigt werden. Luftaufnahmen seitens der ehemaligen Sowjetunion demonstrierten das Gegenteil; sie wurden hauptsächlich gemacht, um militärische Informationen zu verraten.

Das Ortsmuseum ist bis unter die Decke gefüllt mit spannenden Geschichten, plakativen Erinnerungen, überraschenden Aspekten – und mit einem Bau, den es nie gab: dem Leuchtturm Ecke Berg- und Forchstrasse. «Das wäre spannend gewesen», bedauerte der Gemeindepräsident. Vielleicht eine Idee für die nächste Ortsgestaltung.

Werbung

Verwandte Artikel

Newsletter

Abonnieren Sie unseren wöchentlichen Newsletter und lesen sie die neusten Artikel einen Tag vor der Print-Veröffentlichung.

ANMELDEN

Herzlich willkommen! Melden Sie sich mit Ihrem Konto an.