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«Ich war immer und überall sehr jung»

Von Simon Bühler ‒ 10. Juni 2021

Vom KV-Lehrling zum China-Chef von Rieter und CEO eines Konzerns. Martin Hirzel blickt auf eine bewegte Karriere zurück. Vor zehn Jahren liess er sich mit seiner Familie in Zumikon nieder. Seit Anfang Jahr präsidiert der 51-Jährige den Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall­industrie Swissmem. Eine Begegnung.

Swissmem-Präsident Martin Hirzel pendelt von seinem Wahlwohnort Zumikon mit der Forchbahn zur Arbeit. (Bild: sb)

Herr Hirzel, vor Ihrem Amtsantritt als Swissmem-Präsident war Ihr Leben als CEO und Manager von unzähligen Reisen und mehrjährigen Auslandaufenthalten geprägt. – Was bedeutet Ihnen Heimat?

Ich bin in der Stadt Zürich geboren und aufgewachsen. Ich würde das als meine Heimat bezeichnen. Dort habe ich die Schule besucht, dort habe ich mein Netzwerk, meine Freunde und meine Familie.

Warum haben Sie sich ausgerechnet in Zumikon niedergelassen?

Wir haben lange im Ausland gelebt und nach unserer Rückkehr ein Haus in Stadtnähe gesucht. In Zumikon sind wir fündig geworden. Dabei war uns durchaus bewusst, dass das Haus in einer Anflugschneise liegt. Wenn man dem Lockdown vom vergangenen Jahr etwas Positives abgewinnen will, dann vielleicht die Tatsache, dass der Fluglärm massiv zurückgegangen ist, was Zumikon als Wohnort noch lebenswerter machte. Als bekennender Vielflieger wäre es allerdings zynisch, würde ich mich über Fluglärm beschweren.

Apropos Vielflieger: Eine Ihrer grossen Leidenschaften ist das Reisen.

Entsprechend leide ich an der aktuellen Situation. Nicht nur als Vertreter der Maschinenindustrie, die auf Reisen angewiesen ist. Auch wenn Geschäftsreisen tendenziell eher abnehmen dürften, bin ich überzeugt, dass der private Tourismus wieder deutlich zulegen wird. Ich kann es jedenfalls nicht erwarten. Denn ich reise auch privat sehr gerne. Etwa nach China, wo ich einige Jahre gelebt habe, aber auch in die USA, wo ich studiert habe. Oder nach Südamerika, meinem früheren Arbeitsort Brasilien. Meine Reiseleidenschaft geht aufs Studium zurück. Damals hatte ich mit Partnern ein Kulturreisebüro gegründet und als Reiseleiter gearbeitet. Unter anderem in China. Das Land hat mich enorm fasziniert. Deshalb habe ich mich nach meiner Ausbildung und einer Anstellung bei IBM bewusst bei der Textilmaschinenherstellerin Rieter in Winterthur beworben, die damals die chinesische Textilindustrie beliefert hat.

Vom KV-Lehrling zum Präsidenten von Swissmem. Warum haben Sie sich für eine Berufslehre entschieden?

Meine schulischen Leistungen waren ok, aber ich hatte nach der obligatorischen Schulzeit keine Ambitionen, weiter die Schulbank zu drücken. Ich wollte erwachsen werden, Geld verdienen, Verantwortung übernehmen. Deshalb war eine Berufslehre die richtige Wahl für mich. Bei meinen zwei Kindern kann ich übrigens beide Modelle beobachten. Mein Sohn startet diesen Sommer eine Berufslehre als Informatiker, und meine Tochter beginnt ein Studium der Physik an der ETH.

In Gemeinden wie Zumikon und Zollikon herrscht für viele Kinder ein hoher Druck, ein Gymnasium zu besuchen. Was entgegnen Sie Eltern, die ihre Kinder unbedingt auf der gymnasial-akademischen Schiene sehen wollen?

Ein Kind entwickelt sich sicher nicht besser, wenn es unter Druck gesetzt wird. Wenn es seine Leidenschaft ausleben kann, wird es glücklicher und erfolgreicher sein im Beruf und im Leben. Ich kann allen Eltern nur versprechen, dass eine Berufslehre ein Königsweg darstellt. Eine Lehre ist keine Sackgasse. Wenn Sie als junger Mensch unter Erwachsenen lernen können, Verantwortung zu übernehmen und ein Unternehmen über eine Berufslehre von der Pike auf kennenzulernen, dann fördert das auch die Sozialkompetenzen, was man nicht unterschätzen darf. Kommt hinzu, dass Fachhochschulabgänger meistens höhere Einstiegslöhne erhalten als Abgänger von klassischen Universitäten.

Woher kommt diese Lust, sich als ehemaliger Topmanager für übergeordnete Anliegen einzusetzen?

Ich möchte mich für den Werk- und Denkplatz Schweiz engagieren und gleichzeitig mit beiden Beinen in der Industrie stehen, wofür die Verwaltungsratsmandate ideal sind. Nach einer über 25-jährigen operativen und internationalen Karriere hatte ich mit meinem 50. Geburtstag Lust auf einen Perspektivenwechsel. Lust, etwas völlig Neues zu machen. Ich war immer und überall sehr jung. Ich bin 30-jährig China-Chef von Rieter geworden. Mit 40 wurde ich CEO eines börsenkotierten Konzerns. Als das Angebot des Swissmem-Präsidiums in Kombination mit verschiedenen Verwaltungsratsmandaten aufgetaucht ist, war ich begeistert.

Wie lauten Ihre Hauptziele an der Spitze von Swissmem?

Ich habe mir drei Schwerpunkte gesetzt. Erstens das duale Berufsbildungssystem zu stärken. Ein zweiter Schwerpunkt ist die Diversität. Ich möchte mehr Frauen für die Industrie gewinnen und mehr Mädchen für technische Berufe begeistern. Wir haben knapp 320 000 Jobs in der Schweizer MEM-Industrie. Frauen sind mit rund 27 Prozent stark untervertreten. Insbesondere auch in Führungsfunktionen. Ich glaube an die Diversität. Gerade in einer Branche, wo Innovation so wichtig ist, ist es unverzichtbar, dass sich verschiedene Perspektiven einbringen. Deshalb wollen wir auf jeder Altersstufe Mädchen und jungen Frauen einen direkten Zugang zur MEM-Welt verschaffen und weibliche Vorbilder fördern. Auch beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie gibt es in unserer Branche noch Aufholbedarf. Der dritte Schwerpunkt betrifft die ­Digitalisierung. Etwa bei der Entwicklung neuer datenbasierter ­Geschäftsmodelle, Produkte und Services. Deshalb ist ein enger Kontakt zur Forschung enorm wichtig.

Zurück nach Zumikon: Was gefällt Ihnen an der Gemeinde besonders gut und was weniger?

Es ist diese Symbiose aus der heimatlichen Stadtnähe und der Naherholung im Grünen. Einer meiner Lieblingsorte ist der Panoramaweg unweit von unserem Haus. Dieser Weg charakterisiert den Reiz von Zumikon perfekt: Man sieht auf den See und die Stadt hinunter und man ist gleichzeitig von Natur umgeben. Ich verfolge in Ihrer Zeitung mit Interesse die Diskussion über die Neugestaltung des Dorfplatzes, der heute sicher nicht mehr ganz dem Zeitgeist entspricht und würde mich deshalb über eine Auffrischung freuen. Wenn dies auch zu einer besseren Durchmischung der Alters- und Gesellschaftsstruktur beiträgt, wäre das für Zumikon nur positiv.


Steckbrief

Martin Hirzel ist 1970 in der Stadt Zürich geboren und aufgewachsen. Nach einer Lehre in einem Handelsunternehmen arbeitet Hirzel bei IBM. Danach absolviert er ein Studium der Betriebswirtschaft und lernt dort seine Frau kennen, die als Treuhänderin in der Steuerberatung arbeitet. Im Studium gründet Hirzel mit Partnern ein Kulturreisebüro und arbeitet als Reisebegleiter. Dabei entdeckt er seine Faszination für China. Mit 30 Jahren wird Martin Hirzel China-Chef der Textilsparte von Rieter. 2011 löst er als CEO von Autoneum die Automobilsparte aus dem Rieter-Konzern und bringt die Firma an die Börse. Martin Hirzel ist Vater einer Tochter und eines Sohnes und lebt mit seiner Familie in Zumikon. In seiner Freizeit spielt er Golf, hört klassische Musik und widmet sich als Absolvent einer Weinakademie gerne dem Thema Wein.

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