Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 25. Februar 2021
Ist das «Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts», das sich an alle richtet, die in der Schweiz leben, notwendig oder sinnvoll? Der Zolliker Zumiker Bote war auf Meinungssuche.
Am Sonntag in einer Woche stimmt die Schweiz über die Initiative « Ja zum Verhüllungsverbot» ab. Die Diskussion dreht sich vor allem um den Gesichtsschleier muslimischer Frauen, den Nikab. Einerseits heisst es, dass in der Schweiz deutlich weniger als hundert Frauen lebten, die ihr Gesicht verhüllten. Ausserdem würden damit die Kantone in ihrer Autonomie beschnitten. Andererseits wird die Burka als Unterdrückungsinstrument der Frau interpretiert. Im Abstimmungskampf kommen auch grundsätzliche Fragen zur Sprache: Soll die Mehrheit einer kleinen Minderheit vorschreiben, welche Kleidung sie tragen darf und welche nicht? Der Zolliker Zumiker Bote hat dazu Personen des öffentlichen Lebens befragt. Nur wenige waren bereit, ihre Meinung zu äussern.
So möchte Marie-Madeleine Matter ihre Meinung nicht als Präsidentin des Zolliker Frauenvereins darlegen. Als Privatperson hat sie aber eine klare Haltung. «In unserer Gesellschaft gibt es klare Regeln. Eine davon ist, dass man sein Gesicht zeigt. Kein Mensch verhüllt freiwillig sein Gesicht.» Sie erinnert sich vor allem an ihre Schul- und Studienzeit in Frankreich, wo zahlreiche Muslime leben. «Keines der Mädchen und keine der Frauen wollten sich verhüllen. Sie waren dankbar, dass sie nicht dazu gezwungen wurden.» Für die Zollikerin ist die Burka auch kein Ausdruck von Religion, sondern eine Provokation. «Der Bund hätte schon lange reagieren müssen.»
Ebenfalls ausdrücklich als Privatperson äussert sich die Zumikerin Doris Graf: «Ich bedaure, dass diese Vorlage mit Fragen zu Religion, Freiheit, Toleranz, Frauenrechten und Weltoffenheit verknüpft wird. Müssten wir uns nicht losgelöst davon vorstellen, wie es wäre, wenn ich den Menschen, denen ich im Alltag beim Einkaufen, im Tram, auf der Strasse oder in meiner Freizeit beim Sport, Konzert, an einer Schulveranstaltung begegne, nicht ins Gesicht und in die Augen sehen könnte?» In unseren Breitengraden gehöre eine offene Kommunikation, in der jeder erkenne, wer ihm gegenüber steht – dessen Mimik, ein Lächeln oder der klare Ausdruck von Ärger – zur Qualität unseres Zusammenlebens. «Für mich ist diese Vorlage deshalb mehr eine Frage des Respekts. Respekt gegenüber unserer Kultur, in der ich mit meinem Gesicht zu dem stehe, was ich tue und wie ich handle», unterstreicht Doris Graf. Das neue Gesetz würde selbstverständlich auch für Gruppierungen zur Anwendung kommen, die in der Öffentlichkeit im Schutz der Vermummung bewusst Grenzen überschreiten.
Anders denkt Pascal Marquard, der katholische Pfarrer für Zollikon und Zumikon: «Sollten wir nicht eine tolerante und schlanke Gesetzgebung pflegen? Wer privaten oder religiösen Boden betritt, darf aus meiner Sicht Kleidervorschriften beachten. In Kirchen sollte niemand wie am Strand herumlaufen, und es ist in Ordnung, in Synagogen den Kopf zu bedecken oder in Moscheen die Schuhe auszuziehen. Zuständig dafür sind die jeweiligen Eigentümer.» Das sei aber nicht gleichzusetzen mit dem öffentlichen Raum. Das Verhüllungsverbot ist für Pascal Marquard ein überflüssiger, alltagsuntauglicher Gesetzesballast. «Ein paar wenigen Fanatikerinnen und ein paar Dutzend Touristinnen in Genf und Interlaken vorzuschreiben, wie sie sich auf unseren öffentlichen Plätzen und Orten kleiden oder eben nicht kleiden sollen? So ein Gesetz braucht es nicht.»
Simon Gebs, Pfarrer der reformierten Kirche Zollikon, lehnt die Initiative ebenfalls ab. «Persönlich bin ich wie viele andere irritiert, wenn ich Frauen begegne, die einen Nikab oder gar eine Burka tragen. Jegliche Form der Verhüllung löst bei mir einen archaischen Abwehrreflex aus, zuweilen generiert es bei mir auch Wut, weil es erst einmal ein eindeutiges Symbol patriarchaler Unterdrückung und fundamentalistischer Religionsauslegung darstellt.» Für Simon Gebs steht fest, dass Burka und Nikab eng mit dem Salafismus und anderen radikalen Strömungen im Islam verbunden sind. Dennoch kann er der Initiative nicht zustimmen. Allein die im Abstimmungskampf verwendeten Plakate zeigen in seinen Augen, aus wessen Geistes Küche die Vorlage kommt. In der Schweiz lebten gegen eine halbe Million Muslimas und Muslime, davon sei ein beträchtlicher Teil nicht religiös praktizierend, ein noch grösserer Teil wolle Nikabträgerinnen auch nicht in seiner Moschee sehen.
Simon Gebs nennt noch ein weiteres Argument für sein Nein. Es müsse sorgfältig zwischen einem saudi-arabischen und unserem europäischen Kontext differenziert werden. Während am einen Ort die Verhüllung kulturell oder religiös von einer patriarchalen Gesellschaft vorgeschrieben werde, stelle sich die Lage bei Muslimas hier grossmehrheitlich anders dar. Untersuchungen zeigten, dass der Nikab durchaus freiwillig getragen werde. Besonders für Konvertitinnen und junge Muslimas sei er ein Ausdruck von Rebellion gegenüber den in ihren Augen säkularen Eltern. Werde dieses offensichtlich als Unterscheidungsmerkmal eingesetzte Kleidungsstück verboten, so erhalte dieses erst recht einen Anreiz. «In meinen Augen wird mit dieser Vorlage ein Problem postuliert, das es so in der Schweiz nicht gibt, eine Lösung vorgeschlagen, die nichts löst. Kurz: Die Initiative richtet mehr Schaden an, als sie je nützen wird.»
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Eine Antwort
Wenn ich mich in einem arabischen Land in der Öffentlichkeit bewege, darf ich nicht zu viel Haut zeigen. Diese Vorschrift halte ich ein, aus Respekt und aus Anstand. Ich verlange von unseren Gästen ebenfalls Respekt und Anpassung an unsere Kultur. Wehret den Anfängen!