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Viel Wind im nationalen Förderprogramm

Von Franca Siegfried ‒ 31. August 2023

Die rechtlichen Fragen zur Energiestrategie 2050 fordern Bund, Kanton und Gemeinde. Der Kanton Zürich hat den Zolliker Wald als möglichen Standort für eine Wind­enenergieanlage bestimmt. Eine erste Einzelinitiative liegt beim Gemeinderat.

Im Zolliker Wald wäre gemäss einer kantonalen Studie eine Windturbine mit der Gesamthöhe von bis zu 220 Metern möglich. (Bild: cef)
Im Zolliker Wald wäre gemäss einer kantonalen Studie eine Windturbine mit der Gesamthöhe von bis zu 220 Metern möglich. (Bild: cef)

«Der Mindestabstand zwischen einer industriellen Windenergieanlage (Nabenhöhe ab 30 Meter) und einer zeitweise oder dauerhaft bewohnten Liegenschaft muss 700 Meter betragen.» Stephan Geiger hat als Einzelinitiative diese Anpassung für die Zolliker Bau­ordnung eingereicht. Warum? Vor sechs Jahren hatte das Schweizer Stimmvolk mit 58,2 Prozent Ja-Stimmen das erste Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 angenommen – inklusiv Windenergie. Mit den neuen Bedingungen verlangte das Bundesamt für Energie letzten Sommer eine Neuberechnung des Windenergiepotenzials. Bestimmt wurde, welchen Beitrag die einzelnen Kantone mit dem Ausbau der Windenergie in Gigawattstunden pro Jahr leisten sollten. Der Kanton Zürich ist verpflichtet, bis 2050 insgesamt 120 Anlagen für jährlich 883 Gigawattstunden zu bauen. Von den 46 ausgewählten Gebieten nach nationalen Kriterien liegt die Nummer 44 im Zolliker Wald (Zwifelsriet-Ober Salster). Dieser Standort könnte sich für eine Windturbine mit einer Gesamthöhe von 150 bis 220 Metern eignen. Im Bericht seiner Sitzung vom vergangenen Juni hält der Gemeinderat fest: «Die Einzelinitiative von Stephan Geiger würde den Standort im Zolliker Wald verunmöglichen. Weil der Kantonsrat überdies das kantonale Planungs- und Baugesetz revidieren soll, um die Planung und Bewilligung von Windenergieanlagen neu zu regeln, macht es heute kaum einen Sinn, eine Revision der Bau- und Zonenordnung mit einer fixen Abstandsvorschrift den Stimm­berechtigten zu unterbreiten.» Als allgemeine Anregung plant jedoch der Gemeinderat, die Initiative voraussichtlich an der Gemeindeversammlung vom 29. November 2023 vorzustellen.

Wo machen Windturbinen Sinn

Die Energiestrategie 2050 verlangt schweizweit eine Steigerung der Energieeffizienz. Windstrom wird in Zukunft Solar- und Wasserstrom ergänzen. Zumal zwei Drittel der Windstromproduktion im Winter für Heizungen eingesetzt werden kann. Eine neue Studie der ETH ­Zürich analysierte unabhängig vom Bund die Effizienz von Windtur­binen. Das Forschungsteam für Planung von Landschaften und Urbanen Systemen (PLUS) fragte sich, wo künftig Windanlagen in der Schweiz stehen sollten. Dabei berücksichtigten sie auch Gebiete, auf denen aktuell keine Windkraftanlagen gebaut werden dürfen. Etwa auf fruchtbarem Ackerland. Ihr Fazit, im windstarken westlichen Mittelland wäre eine Doppelnutzung möglich – auf der Erde wächst Nahrung – aus der Luft wird Energie gewonnen. Der Bund rechnet landesweit mit 760 Windanlagen. Die ETH-Forschenden hingegen fanden, dass mit den neuen Standorten 300 Anlagen weniger nötig wären für gleich viele Gigawattstunden pro Jahr. Der Bund hat die Anteile der Gigawattstunden nach potenzieller Windkraft auf die Kantone verteilt. Bern, Waadt und Jura gehören zur Spitze – der Kanton Zürich ist an 12. Stelle. Werden jetzt Bund und Kantone ihre Strategie den Erkenntnissen der ETH-­Studie anpassen bzw. in der Raumplanung berücksichtigen? Mit einer knappen Halbierung der Anlagen liesse sich die Nutzung von Windenergie schneller umsetzen.

Energiestrategie und Recht

Das Rechtsgutachten des Bundesamts für Energie vom April 2019 kommt zum Schluss, dass Kantone und Gemeinden mit dem revidierten Gesetz zur Energiestrategie 2050 verpflichtet sind, Windenergieprojekte im Rahmen der Raumplanung und entsprechendem Baugesetz zu fördern. Der Autor des Gutachtens ist Christoph Jäger: «Historisch gesehen sind in erster Linie die Kantone für die Raumplanung zuständig, der Bund erlässt den Rahmen und die Grundsätze. Auch die Regelung des Energiebereichs ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Kantonen», sagt der Fachanwalt
für Bau- und Immobilienrecht. «Bei den Gemeinden liegt die Nutzungs­planung, welche per Volksentscheid an Gemeindeversammlungen beschlossen wird.» Dazu gehört das Baureglement mit Mindestabstand zwischen Windenergieanlage und einer bewohnten Liegenschaft. «Wird der Mindestabstand von 500 auf 700 Meter erweitert, muss der Kanton prüfen, ob dies mit den Vorgaben des Bundes und dem kantonalen Recht zu vereinbaren ist», ergänzt Christoph Jäger. «Wird der erweiterte Abstand ohne sachliche Rechtfertigung als blosser Verhinderungsgrund einer Anlage erkannt, darf der Kanton diese Regelung im Baureglement nicht genehmigen, da sie dem Förderauftrag des Bundes widerspricht.» Der Bund jedoch kann nicht autoritär an den Kantonen vorbei über Standorte der Anlagen entscheiden – in dieser Konstellation liegt viel Potential für Streitigkeiten.

Fall Tramelan

Christoph Jäger verweist auf den Fall von Tramelan im bernischen Jura: «Dieser ist von der Konstellation her ein Stück weit vergleichbar mit der Ausgangslage in Zollikon.» 2015 genehmigte das Stimmvolk von Tramelan den Bau von sieben Windkraftanlagen und stimmte gleichzeitig für eine Initiative vom Verein «Protection Habitat et Paysage Jura bernois». Die Initiative verlangte in der Bauordnung einen Mindestabstand zwischen Windkraftanlage und Wohngebäuden von 500 Metern. Der Kanton hat die Genehmigung dieser Änderung der Bauordnung verweigert. Damit begann ein siebenjähriger Rechtsstreit zwischen Anwohnern, Initianten sowie Gemeinde und Kanton, der beim Bundesgericht im August 2022 endete. Die geplanten Windturbinen waren teilweise nur 300 Meter von Häusern entfernt – mit der Initiative liessen sich diese Anlagen nicht mehr realisieren. «Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Anwohner gut und wies die kantonalen Behörden an, die Vorschrift im Baureglement mit dem erweiterten Mindestabstand zu genehmigen», sagt Fachanwalt Jäger. Solch kommunale Mindestabstände sind somit nicht zum vornherein ungültig, sondern müssen im Einzelfall begründet werden können. Man darf gespannt sein auf die Diskussionen an der nächsten Zolliker Gemeindeversammlung – einen Siebenjährigen Krieg gegen Kanton und Bund wünscht sich wohl niemand.

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