Von Franca Siegfried ‒ 12. April 2024
Letztes Wochenende zeigte das Thermometer in Zürich 25 Grad – klimatologisch Sommertage. Nun soll nächsten Montag um 18 Uhr der Böögg verbrannt werden. Die sogenannte «Böögg-Prognose»: Je schneller er explodiert und brennt, umso schöner der Sommer. Leidet etwa der Brauch des Frühlingsfestes auch am Klimawandel? Die nächsten Jahre werden es zeigen. Das Frühlingsfest ist für die 25 Zünfte und die Gesellschaft zur Constaffel ein besonderes Wochenende. Nicht nur der Schneemann auf einem 13 Meter hohen Holzhaufen wird verbrannt, am Sonntag ziehen kostümierte Kinder durch die Stadt. Und am Montag promenieren die Zünfter und die Gesellschaft zur Constaffel in traditionellen Kostümen mit Ehrengästen am Sechseläutenumzug.
Ritter Rudolf Brun führte 1336 in der Stadt Zürich eine neue Verfassung ein, mit der er die Handwerker in 13 Zünfte organisierte und an der Macht beteiligte. Diejenigen Personen, die in keine handwerklichen Berufe eingeteilt werden konnten, zum Beispiel Ritter, Edelleute, Kaufleute und Goldschmiede, fasste er in der Constaffel zusammen.
Aktiv beteiligt am Zunftwesen bin ich seit meiner Kindheit. Zuerst als Edelknabe in der Kindergruppe, danach als Jungconstaffler bis zu meiner Aufnahme vor ziemlich genau 20 Jahren. Zu verdanken habe ich den Bezug zur Constaffel meinem Grossvater und meinem Vater, beide Mitglieder unserer Gesellschaft.
Jede Zunft beziehungsweise Gesellschaft bestimmt eigenständig über ihre Mitgliederstruktur. Bei uns werden insbesondere Söhne und Schwiegersöhne aufgenommen. Die Aufnahme steht grundsätzlich auch Dritten offen, auch wenn wir entsprechenden Begehren aufgrund der grossen Nachfrage nur sehr beschränkt nachkommen können. Wer sich um eine Aufnahme bemüht, muss mindestens zwei Jahre an unseren Anlässen teilnehmen und von drei Göttis unterstützt werden.
Glücklicherweise nicht. Das Interesse am Zunftwesen generell und an der Constaffel ist derzeit enorm gross. Die Jungen scheinen sich für die Pflege von Traditionen sehr zu interessieren.
Das Milizprinzip liegt mir am Herzen. Die Schweiz funktioniert nur, wenn sich die Bürger für das Gemeinwohl einsetzen und sich engagieren. Das Sechseläuten und das Zunftwesen ganz generell ist der Inbegriff des freiwilligen Engagements – und hierfür engagiere ich mich gerne.
Als Constaffelherr darf ich die Gesellschaft durch das Sechseläuten führen. Dazu gehört die Einladung von Ehrengästen, das Halten von Reden sowie das spontane Replizieren auf die Sprecher derjenigen Zünfte, die mich am Abend im Rahmen des Auszuges besuchen. Unter dem Jahr darf ich
die Constaffel bei anderen Zünften vertreten, meist verbunden mit einer launigen Rede. Grundsätzlich sind die Aufgaben mit dem Vereinspräsidenten eines Sport- oder Gesellschaftsclubs zu vergleichen.
Ja, das ist richtig. Aber ich habe Freude, mich während der Freizeit für das Zunftwesen zu engagieren. Es ist eine sehr freundschaftliche Verbundenheit, die viel Schönes mit sich bringt. Hinzu kommt, dass es sich beim Sechseläuten inklusive Kinderumzug um ein identitätsstiftendes Volksfest handelt, das Jung und Alt zusammenbringt.
Meine Frau ist ebenfalls mit dem Zunftwesen aufgewachsen und engagiert sich zum Beispiel im Damenkomitee, das für die Herausgabe der Kinderkostüme verantwortlich ist. Ohne Unterstützung der Familie hätte ich ein solches Amt nicht übernehmen können. Es ist schön, dass wir diese Leidenschaft zusammen teilen können.
Bei den Bällen handelt es sich um festliche Abendanlässe, die meist von privaten Komitees organisiert werden. Die Zünfter und ihre Damen haben die Möglichkeit, an einem Ball ihrer Wahl teilzunehmen und dort Freunde anderer Zünfte zu treffen. In der Constaffel organisieren wir keinen Ball, sondern treffen uns für ein festliches Nachtessen auf dem Rüden – ganz so wie vor rund 600 Jahren, als der Rüden als «Trinkstube» fungierte und man das soziale Zusammensein genoss.
Als Constaffelherr bin ich zusammen mit meinem Vorstand auch zuständig für das Haus zum Rüden am Limmatquai, das um 1340 gebaut wurde. Unsere Aufgabe ist es, das wunderbare Haus instand zu halten und die notwendigen Investitionen zu tätigen. Dazu gehört auch die Wahl der Pächter.
Wir dürfen den Chef der Armee, Korpskommandant Thomas Süssli; Laura Meyer, CEO von Hotelplan; Kunsthausdirektorin Ann Demeester; Stadtrat André Odermatt sowie die Rektoren der ETH und Uni begrüssen. Letztere sind regelmässig unsere Gäste, da wir eine enge Verbindung zu unseren Bildungsinstitutionen pflegen. Ich freue mich sehr auf ihre Anwesenheit und ihre Reden, die durchaus etwas ernst sein dürfen.
Nach der letztjährigen Rekordbrenndauer gehe ich von einer Explosion nach acht Minuten und 45 Sekunden aus – der Böögg will zeigen, dass er es auch anders kann!
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Eine Antwort
Als bescheidener Wiediker Quartierzöiter interessieren mich solche Artikel auch. Allerdings würde der hohe Constaffelherr den Titel anders, nämlich züritüütsch (und deutsch) korrekt so schreiben: ’s Sächsilüüte. Dass auch von Beruf Schreibende nicht wissen, welche Bedeutung ein Apostroph hat, ist sehr bedauerlich. Bernhard Kamer